Page - 340 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen340
len ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu beenden.473 Dafür müsse er „zunächst
die radikale [deutschnationale] Presse einer sorgsamen Ueberwachung“ unterzie-
hen.474 Außerdem mussten die (der Statthalterei unterstehenden) politischen Un-
terbehörden alle Kundgebungen und Veranstaltungen unterbinden, sofern sie „als
feindselige Betätigung gegen eine andere Nation Oesterreichs betrachtet werden“
können.475 Ebenso galt es, die „Unterdrückung serbischer Anschläge, serbophiler
Kundgebungen und der südslawischen Studentenverbindung“ entschieden zu ver-
folgen.476
Demonstrationen vor Geschäften
In den Tagen rund um die österreichisch-ungarische Kriegserklärung an Serbien
(28. Juli) kam es zu „antislawischen“ Demonstrationen vor zwei Grazer Geschäf-
ten, deren Inhabern (mit „slawisch“ klingenden Namen) man eine „österreich-
feindliche“ Gesinnung unterstellte. Die Presse lehnte die Demonstrationen ab. Da
die Demonstrationen tagsüber erfolgten, waren sie nicht Bestandteil der in diesen
Tagen in den Abendstunden abgehaltenen „patriotischen“ Straßenumzüge. Die
„antislawischen“ Demonstrationen vor den beiden Geschäften stellen somit eine
weitere Gruppe von größeren Menschenansammlungen dar.
Die erste Demonstration fand „mittags“477 am 26.
Juli vor dem Laden des Schnei-
dermeisters Sava (Josef) Lazic478 in der Radetzkystraße statt. Bereits nach dem At-
tentat von Sarajevo hatten Unbekannte eine seiner Firmentafeln zertrümmert.479
Ausschlaggebend für die „lärmenden Kundgebungen“ am 26. Juli waren anschei-
nend erneute Gerüchte, denen zufolge sich der Geschäftsinhaber „in letzter Zeit
abfällig über die Deutschen geäußert habe“.480 Dies hatte zur Folge, dass sich spon-
tan eine Menschenmenge bildete, an der sich laut Tagblatt „bald mehrere hundert
Personen beteiligten.“ Nähere Angaben zur sozialen Zusammensetzung der De-
473 Innenministerium an Statthalterei-Präsidium, 26.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/1743/1914.
474 Ebd.
475 Ebd.
476 Innenministerium an Statthalterei-Präsidium, 1.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/1743/1914.
477 Serbenfeindliche Demonstrationen, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
478 Die in den Zeitungen wiedergegebenen Namen erweisen sich insofern als problematisch, da „sla-
wische“ und „ungarische“ Namen nicht selten – z. B. durch das Weglassen des Hatscheks – „ein-
gedeutscht“ wurden. Vgl. auch: Moll (2007a), 41.
479 Serbenfreundliche Schneidermeister, in: Grazer Tagblatt, 29.7.1914, 2.
480 Das Zitat und die folgenden Sätze stützen sich auf: Serbenfeindliche Demonstrationen, in: Grazer
Tagblatt, 27.7.1914, 4.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453