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Andrang auf die Geldinstitute | 267
Andrang auf die Geldinstitute
In Graz manifestierte sich die Angst vor dem Verlust des eigenen Vermögens in der
Geldbörse, unter dem „Kopfpolster“ und auf den Geldinstituten in einem kurzzei-
tigen Andrang auf die Geldinstitute, im Horten von Münzen sowie im Ausmaß
der Verpfändungen, Umschreibungen und Auslösungen am Grazer Versatzamt. Je-
der dieser Vorgänge trug unverkennbar zur „Hyperaktivität des Kriegsbeginnes“64
bei. Finanzielle Ängte zeigten sich auch im Laufe der vorangegangenen Feldzüge
der „Donaumonarchie“. Zum Beispiel fiel an den Grazer Geldinstituten während
der Feldzüge von 1859 und 1866 die Abhebebewegung höher als die Einlagen-
bewegung aus (Obendrein stellten die Institute 1866 das Darlehnsgeschäft ein).65
Zudem kam es während der Bosnischen „Annexionskrise“ (1908/09) und der Bal-
kankriege (1912/13) zu vermehrten Geldabhebungen.66 Zu Kriegsbeginn 1914 kam
es genauso zu einem Andrang auf die Geldinstitute (Abhebungen, Kündigungen,
Kapitalflucht). Dieser lässt sich nicht nur für Frankreich, Deutschland und Groß-
britannien nachweisen, sondern auch für die neutrale Schweiz (z. B. für Zürich).67
In Graz begann der (zweiwöchige) Andrang auf die Geldinstitute am 23. Juli.
Der „Run“68 begann somit vor Ausbruch des „Serbienkriegs“. Das erschließt sich
unter anderem aus dem Artikel „Keine Gefahr für die Spareinlagen!“ vom 26. Juli,
dem zufolge seit einigen Tagen vermehrt Geld abgehoben wurde.69 Einen direk-
ten Bezug zum Ultimatum an Serbien (23. Juli) stellte der Artikel jedoch nicht
her. Allem Anschein nach verschärfte die österreichisch-ungarische Kriegserklä-
rung (28. Juli) die Lage. Das geht zumindest aus einer Aussendung der Steiermär-
kischen Sparkasse hervor, der zufolge der Andrang zu den Sparkassen seit den
Morgenstunden des 29. Juli „ein äußerst lebhafter“ war.70 Er blieb es über Tage
hinweg. Nirgendwo kam es zu Ausschreitungen. Zumindest steht davon nichts
in der Presse, die seit Juli 1914 viele gewaltsame Auseinandersetzungen themati-
64 Geinitz (1998), 147.
65 Poschacher/Kaiserfeld (1925), 31, 43. Vgl. auch: Rauchenwald (2000), 114.
66 Vgl. dazu auch: Höck (2014), 205, 207.
67 In Deutschland dauerte der Andrang vom 27. Juli bis zum 4. August, vgl. Verhey (2000), 86–90.
Zum „Bankensturm“ in Deutschland: Hermann (2014), 62; Zedler (2014), 52 f.; Stöcker (22014),
34 f.; Stöber (2013), 90 f.; Chickering (2009), 66; Hartung/Krüger (2009), 169; Nübel (2008), 91;
Schröder (2007), 212; Schmidt (2007), 50; Andresen (2006), 23, 30
f.; Link (2004), 303
f., 312; Rei-
temeier (2004), 164; Geinitz (1998), 88–91; Boll (1981), 151. Für Zürich: Herber (2014), 70. Für
Österreich-Ungarn (Vorarlberg, Kärnten) nuanciert: Binder (1959), 124 f.; Doliner (1951), 99 f.
68 Ein Run auf die Gazer [sic] Sparkassen? – Unbegründete Besorgnis!, in: Kleine Zeitung, 30.7.1914, 6.
69 Keine Gefahr für die Spareinlagen!, in: Kleine Zeitung, 26.7.1914, 4.
70 Ein Run auf die Gazer [sic] Sparkassen? – Unbegründete Besorgnis!, in: Kleine Zeitung, 30.7.1914, 6.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453