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Grazer Gemeinderatswahlkampf | 83
Grazer Gemeinderatswahlkampf
Am 24. Juni 1914 löste der langjährige steirische Statthalter Manfred von Clary und
Aldringen den Grazer Gemeinderat auf.60 Anton Underrain von Meysing61, der be-
reits im Zuge der Auflösung des Gemeinderats 1912 (es ging um Budget- und Steu-
erdifferenzen) für sechs Monate als Regierungskommissär fungierte, bekleidete er-
neut dieses Amt. Die „Vorgeschichte“ zu diesem Akt lässt sich folgendermaßen
umreißen: Seit 1912 verschlechterte sich im Gemeinderat das politische Klima zwi-
schen dem Deutsch-freiheitlichen Bürgerklub (1. Wahlkörper), dem Deutsch-frei-
heitlichen Wirtschaftsverband (2. Wahlkörper) und der Sozialdemokratie (3. Wahl-
körper) zunehmend. Nachdem am 8. Jänner 1914 der Sozialdemokrat Alois
Ausobsky mit Stimmen des Deutsch-freiheitlichen Wirtschaftsverbandes zum 2.
Bürgermeister-Stellvertreter gewählt worden war, spitzte sich die Lage weiter zu.
Mitte Juni 1914 legte der Grazer Bürgermeister Robert Fleischhacker sein Amt nie-
der. Auch die 15 Gemeinderäte des Deutsch-freiheitliches Bürgerklubs legten ihre
Mandate nieder. Die für Anfang Juli ausgeschriebenen Ergänzungswahlen wurden
letztlich annulliert. Die für 2. August 1914 angekündigte Neuwahl (des gesamten
Gemeinderats) wurde ebenfalls sistiert. Die Agenden des Bürgermeisteramts wur-
den bereits vorher vom Regierungskommissär Anton Underrain von Meysing
übernommen. Der Stadtrat – die letzte der drei hohen Instanzen der Stadtpolitik –
wurde dem Regierungskommissär unterstellt. Der Gemeinderat trat erst wieder im
Herbst 1917 zusammen. Und die Deutschnationalen behielten infolge des Zensus-
und Kurienwahlrechts die Mehrheit im Gemeinderat. Im Juni 1914 bestand für die
deutschnationale Tagespost kein Zweifel, dass die Mandatsniederlegung des
Deutsch-freiheitlichen Bürgerklubs gerechtfertigt war und dass die Ergänzungs-
wahlen „kein Mittel zur Lösung der Krise, sondern eher ein solches zu ihrer Ver-
schärfung“ gewesen wären.62 Die Auflösung stellte somit keinen „Rechtsbruche“
60 Die einleitenden Worte zu diesem Kapitel fußen zur Gänze auf: Moll (2014), 28
f.; Brunner (2003),
241; Marauschek (1998), 40 f., 44 sowie auf die Lexikonartikel „Fleischhacker“ und „Underrain
von Meysingen“ in: Reismann/Mittermüller (2003), 126, 496–497. Abseits der Fachliteratur siehe
auch das (dreimal pro Monat erschienene) Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz,
vgl. exemplarisch: Auflösung des Gemeinderates, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt
Graz (30.6.1914), 328; Kundmachung betreffend den Aufschub der Gemeinderatswahl, in: Amts-
blatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz (10.8.1914), 389.
61 Anton Underrain von Meysing (1859–1924) war im Laufe seines Lebens Finanzrat, Bezirks-
hauptmann, Statthaltereirat, Hofrat, Vizepräsident der Statthalterei sowie Grazer Regierungs-
kommissär.
62 Auflösen!, in: Tagespost, 24.6.1914, 1.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453