Page - 206 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof206
Kaiserfeiern rund um den 18. August
Wirft man einen Blick auf die Lokalteile und fragt sich, was sich während der ver-
bliebenen Augusttage in der Stadt abspielte, stechen diesbezüglich die alljährlichen
Kaiserfeiern hervor. In Österreich-Ungarn galt lediglich der Geburtstag des Kai-
sers – Franz Joseph I. (18. August), später dann Karl I. (17. August) – als Staats-
fest, das weitgehend von den staatlichen und staatsnahen Institutionen getragen
wurde.361 Die Feiern blieben mehr oder weniger auf die cisleithanische Reichs-
hälfte beschränkt. Allenfalls die runden Geburtstags- und Regierungsantrittsju-
biläen verzeichneten eine große Anteilnahme. Das deutschnationale Milieu (und
ihre Sonnenwend-, Bismarck-, Gustav-Adolf- und Sedanfeiern) sowie das sozial-
demokratische Milieu (und ihr 1. Mai) blieben den Kaiserfeiern in der Regel fern.
Die mehrtägigen Kaiserfeiern im August 1914 fielen zeitlich mit Japans Kriegs-
eintritt (23. August) zusammen. Selbstredend standen sie infolge des Kriegs in ei-
nem neuen Licht. Obendrein verbrachte Franz Joseph I. nicht wie die Jahre zuvor
die Tage in seiner Kaiservilla in Bad Ischl, sondern befand sich in Wien.362 Am
18. August 1914 stand er sowohl in der katholischen Lokalpresse als auch in den
deutschnationalen Zeitungen im Zentrum der Berichterstattung. Auf den deutsch-
nationalen Titelseiten hieß es: „Ein Volk, ein Kaiser, ein Reich“363 und „Der Kaiser
rief, und alle, alle kamen.“364 Vergleicht man die deutschnationale Kaiserglorifi-
zierung anlässlich der Kaiserfeiern 1914 mit jener der Vorkriegszeit, fiel erstere
ungleich höher aus.365 Lediglich das Kaiserjubiläumsjahr 1910 kann einigermaßen
mit den deutschnationalen Kaiser-Zeitungsausgaben von 1914 mithalten.366 Der
Arbeiterwille widmete sich – wie die Jahre zuvor – gar nicht dem Geburtstag des
Kaisers.367 Er verschwieg schlicht und ergreifend am 18. August 1914, dass Franz
361 Zum Folgenden vgl. Hanisch/Urbanitsch (2006), 107 f.; Blöchl (1997); Staudinger (1993); Rendi
(1971), 157.
362 Zu den steirischen Kaiserfeiern während des Ersten Weltkriegs: Wiesflecker (2014).
363 Kaisers Geburtstag, in: Tagespost, 18.8.1914, 1.
364 Der Kaiser rief, und alle, alle kamen, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1914, 1. Diese Schlagzeile lehnt sich
an das Lied „Der König rief und alle, alle kamen“ (1813) von Heinrich Clauen (1771–1854) an.
365 Siehe die vorkriegszeitlichen Ausgaben des Tagblatts rund um den 18. August, vgl. z. B. Enthül-
lung des Kaiser-Franz-Josef-Denkmals in Mürzzuschlag, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1913 (Abend-
ausgabe), 2.
366 Der 80. Geburtstag, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1910, 1.
367 Geschweige seinem Namenstag: Franz von Assisi (4. Oktober). Die Namenstagsfeiern waren seit
jeher den Geburtstagsfeiern nachgereiht. Abseits des Gottesdiensts im Grazer Dom und eines
Schulgottesdiensts in der Franziskanerkirche gab es nur wenige Orte, an denen Feiern abgehalten
wurden. Darunter z. B. das Hotel Erzherzog Johann (wo die Offiziere des Bürgerkorps feierten),
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453