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| Alltag und
Einheitsprüfungen276
Ausstattungsfrage und Postämter
Die Menschen mussten sich seit Ende Juli schlagartig und intensiv mit der Frage
beschäftigen, was die Soldaten – abseits der vom Staat zur Verfügung gestellten
Utensilien – mit an die Front nehmen sollten (Ausstattungsfrage). Dieser Umstand
ist auf die unerprobte allgemeine Wehrpflicht zurückzuführen. Auf die „Liebesga-
ben“ am Bahnhof verließ sich keiner der Soldaten. Sie mussten einkaufen gehen,
wobei die partielle Aufhebung der Sonn- und Feiertagsruhe weitere Einkaufstage
ermöglichte.133 Sollte man einen Gürtel kaufen? Einen Feldstecher? Einen Regen-
mantel? Eine Uhr? Einen Kompass? Glücksbringer? Insektenschutzmittel? Schreib-
material? Fäustlinge? Gamaschen? Rasierzeug? Derartige Artikel wurden in den
Geschäftsauslagen (und Zeitungsannoncen) massiv angepriesen. Das Ausstat-
tungshaus Emil Kraft & Co warb beispielsweise mit folgender Annonce: „Wir fer-
tigen an innerhalb zehn Stunden: Uniformen, Waffenrock, Bluse, Pelerine“.134 Das
Modehaus Kastner & Öhler annoncierte mit ähnlichen Slogans.135 Auch die Schuh-
geschäfte warben für ihre Militärprodukte.136 Eine Drogerie in der Innenstadt ver-
kaufte (fixfertig verpackte) Feldpostbriefe mit Kaffee, Tee, Seifen oder Insekten-
schutzmittel (Alles in Pulverform).137 Einen ähnlichen Service bot das
Spezialgeschäft von Heinrich Welisch in der Landhausgasse an.138 Das bereits er-
wähnte Modehaus Emil Kraft & Co verkaufte dagegen fixfertig verpackte „Feld-
post-Liebesgaben“, die diverse Kleidungsstücke beinhalteten.139 Das Pelzhaus
Mangold in der Sporgasse empfahl wiederum seine „Pelzleibchen und Bauchwär-
mer aus Pelz“.140 Die Ausstattungsfrage beschäftigte sich auch mit dem Mitnehmen
und Verschenken von Alkohol. Prinzipiell lässt sich sagen, dass der Alkoholkon-
133 Am 31.
Juli 1914 wurde die Sonn- und Feiertagsruhe (teilweise und vorübergehend) aufgehoben,
siehe das Kapitel: Unklare Mobilisierungsplakate.
134 Zur Mobilisierung! [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 9.8.1914, 10.
135 Militär-Artikel [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 30.8.1914, 11.
136 Vgl. z.
B. eine Annonce des Schuhgeschäfts A. Spitz (Bismarckplatz) und eine des Schuhgeschäfts
„Zum Bergschuh“ (Albrechtgasse): Militärschuhe und Gamaschen [Annonce], in: Grazer Volks-
blatt, 25.8.1914, 8; Feldschuhe [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 2.9.1914, 8.
137 Vgl. z. B. Für unsere Lieben im Felde! [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 17.8.1914 (12-Uhr-Aus-
gabe), 4.
138 Soldatenbriefe [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 9.9.1914, 6.
139 Feldpost-Liebesgaben [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 6.9.1914, 11.
140 Pelzleibchen und Bauchwärmer aus Pelz fürs k. u. k. Militär [Annonce], in: Grazer Volksblatt,
2.9.1914, 8.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453