Page - 148 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISEBERICHT
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talltürchen, das entfernt an die geschnitzten Türchen
in Schibam erinnerte, durch die man in allen Stock-
werken durch Ziehen eines Seiles Glocken zum Läu-
ten bringen kann. Es gibt sowohl reiche Ornamente
mit Flechtmotiven wie auch mit textlichem Dekor auf
der Tür. Die vielen großformatigen, weiß bemalten
Nagelköpfe ergeben ein regelrechtes Relief auf der
Türe. Diese ist ein echtes Kunstwerk, ein besonderes
Objekt der Volkskunst im Wadi Duan.
An den meisten Häusern mit Auskragungen in Sif,
aber auch anderswo fiel auf, dass die Auskragun-
gen in ihrer Höhe aus konstruktiven Gründen an den
Fassadenecken springen und nicht in einer Ebene
fortgeführt werden. Sie sind in all diesen Fällen um
etwa eine Balkenstärke höhenversetzt. Dabei kragen
offenbar kreuzweise übereinander angeordnete, auf-
einanderliegende Deckenbalken in zwei, bei sehr
schlanken Bauten auch in drei oder sogar in allen
vier Richtungen vor.
In dieser Stadt gibt es nur einige Bauten, die im Stil
des sehr späten europäischen Historismus mit Rustiken
an den Gebäudeecken und mit aufgemalten Kartu-
schenfeldern unter und kleinen Giebeln über den
Fenstern farbig gestaltet sind. Leider neigte sich bald
der Tag dem Abend zu und das trotz des vollen Ein-
satzes unseres Fahrers und seines Fahrzeuges. Es wur-
de klar, wir mussten von hier wieder zurückfahren, um
noch einmal Schibam bei ausreichend abendlichem
Licht von Westen fotografieren zu können.
Als wir auf der Rückfahrt nochmals auf Hadjarein
zufuhren, konnten wir diese unglaubliche Stadt auf
ihren hohen Felsen bereits von weitem wiedersehen.
Die Stadt mitten im Wadi stand fast unwirklich auf
ihrem steil aufsteigenden Felsen-Unterbau. Die Be-
leuchtung war so unwirklich, dass die Stadt zunächst
wie eine weit entfernte riesige Modellstadt, wie eine
Fata Morgana wirkte. Diesmal von Sif kommend
sahen wir nun auch die andere Seite des riesigen
Felsblocks, der wie ein langgezogenes, aufgestell-
tes Messer mit seiner Schneide nach oben im Wadi
steht. Die steil aufragenden Wohntürme stehen auf
Auch hier sind viele Dächer weiß gestrichen. Bei
manchen der Bauten reicht die weiße Färbung auch
seitlich weit hinunter und bei einigen sogar bis auf
den Boden. Durch den Kalk wird die Oberfläche
des Lehms verfestigt und dadurch widerstandsfähiger
gegen allfälligen Regen, was natürlich an den Fassa-
den von Vorteil ist. Die Reflexion des Sonnenlichtes
auf den weißen Flächen reduziert außerdem die Auf-
heizung der Bauten während des Tages.
Die Wasserhäuser in der Stadt und auch etliche der
Wohnbauten waren 1991 bereits an das öffentliche,
neue Wasserleitungsnetz angeschlossen. Im Gegen-
satz zu den meisten anderen Wasserhäusern im Je-
men haben die von Sif keinen Kuppelabschluss, son-
dern eine Art Satteldach aus Lehmziegeln. Ihr Sockel
ist, wie auch sonst meist üblich, aus Stein mit Lehm-
mörtel errichtet, was ihre Lebensdauer sicher deutlich
erhöht. Wasser ist der Feind des Lehmbaues! Durch
den Steinsockel wird das Wasser auf Distanz ge-
halten.
Bei einigen Fenster- und Türöffnungen von Wohnhäu-
sern konnten wir beobachten, dass die Innenraumfar-
be über die Laibung bis nach außen auf die Hausfas-
sade geführt worden war und hier in einer schmalen,
handwerklich unregelmäßigen Fensterfasche endete.
Das erinnert etwas an das “Fensterrecht”, das der
österreichische Maler Friedensreich Hundertwasser
1985 für sein Wiener Hundertwasserhaus kreiert
hatte. Das sieht vor, dass der jeweilige Mieter nicht
nur die jeweiligen Innenräume umgestalten darf, son-
dern auch die Laibungen der zur Wohnung gehöri-
gen Fenster und auch die angrenzende Fassade so
weit er aus dem jeweiligen Fenster mit den Armen
hinausreicht, farblich nach eigenen Vorstellungen neu
gestalten darf. Nachdem die Lehmbauten im Jemen
relativ starke Außenwände haben, reicht der Arm halt
nicht sehr weit aus dem Fenster. So sind in Sif etliche
Fenster nur mit einem relativ schmalen weißen oder
hellblauen Farbstreifen rund um das Fenster bemalt.
Auch bei einigen Eingangstüren finden sich Umge-
bungsbemalungen.
Die rot gefärbte Eingangstür eines Hauses in einer
ansteigenden Gasse in Sif wurde etwas oberhalb
des oberen Gassenniveaus errichtet und ist über eine
Seitentreppe erreichbar. Sie wird von einer unregel-
mäßigen weiß gefärbten Fläche umgeben, die auch
die weich modellierte Schwelle der Tür einschließt.
Die Tür wie auch der Türrahmen sind aufwendig ge-
schnitzt und tiefrot gefärbt. In der Fassade über dieser
Tür betont ein zurückweichendes Dreieck mit gestaf-
feltem und gestuftem Relief und mit zwei integrierten
nach oben weisenden Pfeilen den Türsturz. Rechts
neben der Tür gibt es ein kleines quadratisches Me- Abb. 155
Die rot bemalte Tür in Sif ist reich geschnitzt
und hat im Umfeld auf der Fassade eine weiße
Bemalung. Interessant ist das zurückweichende
Feld über der Tür, ein Pfeilmotiv, das besonders
an der Südküste des Jemen öfter über Eingän-
gen zu finden ist und vielleicht auf Allah weist.
Auch diese Tür verfügt über ein kleines Türchen
rechts auf der Seite zum Läuten.
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Title
- Jemen
- Subtitle
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 308
- Keywords
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix