Page - 256 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISEBERICHT
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Form mindestens gleich stark konzentrieren muss wie
auf den geplanten Textinhalt, den Konfliktgegenstand
(Sporrer und Heymach 2010:247-258). Das sollte
man vielleicht auch bei uns einmal versuchen.
Dann aber erreichten wir das Tal von Baynun. Am
Beginn der Streusiedlung stieg unser mitgereister Bau-
er mit den zwei Ziegen aus. Wir fuhren noch ein klei-
nes Stück weiter bis zu einem etwas größeren Haus
auf der rechten Seite unterhalb der Schotterstraße.
Es gehörte dem Bürgermeister des Dorfes mit dem
Namen An-Numara, den mein Fahrer offenbar gut
kannte. Von ihm wurden wir zuerst auf einen Tee und
dann zum Mittagessen eingeladen. Auch sein Haus,
ein zweigeschoßiges landwirtschaftliches Anwesen,
war durch Erdbeben und stete Schießereien beschä-
digt und in Teilen zerstört. Es gab auf der Westseite
des Hauses kein Fenster mehr mit intakten Scheiben.
Das verspätete Mittagessen wurde dann im Oberge-
schoß eingenommen und bestand aus frischem Fla-
denbrot und einer sehr nahrhaften und wohlschme-
ckenden dicken heißen Suppe mit Bohnen, Linsen
und vielen anderen Zutaten. Während des Mittag-
essens wurde vom oberen Dorf aus auf das Haus des
Bürgermeisters, meines Gastgebers, in dem wir gera-
de zu Tisch saßen, geschoßen, sodass eine weitere
kleine Scheibe des Essraumfensters weiter hinten zer-
splitterte. Das beunruhigte hier aber nur mich, sonst
offenbar niemanden. Es wurde ohne Unterbrechung
weiter gegessen. Nur den Gast aus der Ferne schien
so etwas nervös machen zu können.
Nach dem Essen fuhren der Taxifahrer und ich über
eine steile, sehr felsige, holprige Straße auf den west-
lich des Talraumes gelegenen Berg hinauf, um zu den
Ruinen des antiken Baynun zu gelangen. Dabei pas-
sierten wir einige Häuser mit himiaritischen Spolien
und Reliefs. Am Ende der Steigung fiel mir im Mauer-
werk eines Hauses ein weißer Marmorblock mit der
Hochreliefdarstellung eines Stieres auf, der sehr natura-
listisch den Kopf in Frontaldarstellung wiedergab. Lei-
der war er halbseitig stark beschädigt. Der Kopf hatte
eine typisch früh-himiaritische Ausformung. Als die sehr
enge Straße nicht mehr stieg, bogen wir scharf nach
links um ein Haus vor einer Felsnase ab. Nach einem
Engpass erreichten wir die zentrale Dorfzone mit einer
seitlichen Erweiterung auf der linken Seite auf einem
etwas erhöhten Niveau. Hier stellte sich uns plötzlich
eine kleine Privatarmee des Bürgermeisters des obe-
ren Dorfes mit Waffen im Anschlag in den Weg. Wir
waren an der Weiterfahrt gehindert. Als auch längere
Diskussionen zwischen dem Anführer der kleinen Pri-
vatarmee und meinem Fahrer nichts brachten, kehrten
wir unverrichteter Dinge wieder um und fuhren zurück
zum Bürgermeister des unteren Dorfes.
sitzender kleinerer Erddamm folgte. Er war zur an-
deren Hälfte auf den Sedimentschichten des unteren
Beckens dahinter aufgeschüttet worden.
Entlang der Strecke lagen immer wieder Ortschaf-
ten, die fast völlig durch Erdbeben oder kriegerische
Auseinandersetzungen zerstört waren. Der Fahrer er-
klärte mir, dass es bei einem Erdbeben im Dezember
1982 angeblich hier allein ca. 3500 Tote gab. Aber
auch Stammesfehden trugen immer wieder zur Zer-
störung von Bauten und ganzen Ortschaften bei. Die
Konflikte wurden in dieser Gegend offenbar schon
früher immer wieder auch mit Messern, Gewehren,
Maschinengewehren, mit kleinen Kanonen und mit
Granat-Werfern ausgetragen – Mann gegen Mann,
Haus gegen Haus – eine örtlich praktizierte Art der
Problemlösung in dieser extrem kargen Region.
Dabei gab und gibt es im Jemen eine bis ins 20. Jh.
tradierte, zivilisierte, sehr kultivierte und nachahmens-
werte Art der Konfliktlösung bei Streitigkeiten. Bei
dieser müssen die Kontrahenten einem Dritten ihre
jeweiligen Djampiyas übergeben und diesem ihre Ar-
gumente in gereimter rhythmischer Gedichtform vor-
tragen. Allein der Vorgang des in Reime Fassens kann
nur die Gemüter kühlen und dabei die Emotionen he-
runterfahren, da man sich dabei auf die geforderte
Abb. 289
Im zweiten Teil der Strecke von Dhamar nach
Baynun sah ich in einem Streckenabschnitt die
Spuren gleich mehrerer ehemaliger kleiner
Wasserauffangbecken im Profilschnitt in einem
längeren, parallel zur Straße verlaufenden, fast
senkrechten, frischen Erosionsabbruch auf der
rechten Seite. Die meisten kleinen Staumauern
waren aus Stein errichtet (2). In allen Fällen
waren die Becken offenbar jeweils bis zum Rand
mit Geschiebe gefüllt (1, 4, 5). Bei zwei der
Mauern gab es einen sekundär aufgesetzten
Lehmwall (3).
1. Geschiebe hinter einem Staudamm weiter
talabwärts
2. Steindamm
3. aufgesetzter Erddamm
4. Geschiebe hinter dem sekundären Erddamm
5. Geschiebe hinter dem Steindamm
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Title
- Jemen
- Subtitle
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 308
- Keywords
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix