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60 | Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente
der Kunst verfolgten und modernen Kunstströmungen gegenüber aufgeschlossen wa-
ren. Ungeachtet der vom hl. Benedikt (um 480–547) eingemahnten stabilitas loci, be-
gaben sich die Klostervorsteher und ihre Stellvertreter häufig auf Reisen, nach Wien
etwa, um in der Hauptstadt des römisch-deutschen Reiches präsent zu sein.111 Andere
Unternehmungen führten die Geistlichen nach Rom. So hielt sich der Göttweiger Abt
Gottfried Bessel (reg. 1714–1749) vor seinem Amtsantritt mehrfach in der Ewigen
Stadt auf. Man darf deshalb davon ausgehen, dass viele Prälaten über die jeweils mo-
dernsten Kunsterzeugnisse genau informiert waren.
Eine weitere Quelle des Kunsttransfers eröffnete sich durch die Akquisition einzel-
ner Möbel oder kompletter Möbelgarnituren bei fremden Händlern. Beispielsweise
existierten in der Umgebung von Passau auf die Herstellung von Sitzmöbeln speziali-
sierte Tischlereien, die weit über die Landesgrenzen hinaus eine wohlhabende Klientel
mit ihren Produkten belieferten. Schriftquellen informieren darüber, dass der Konvent
von Kremsmünster 1678 drei Dutzend mit Kalbsleder bespannte passauerische Möbel
erhielt.112 Weiter verzeichneten die Wiener Behörden im Jahr 1710 den Import von
nicht weniger als 1440 Passauer Stühlen.113 Aktenkundig ist ferner, dass Abt Bessel
in den 1720er-Jahren zur Einrichtung seines Klosters sieben Dutzend solcher Stühle
bei einem süddeutschen Möbelhändler ankaufte. Vergleichbares berichten Archivalien
vom Chorherrenstift St. Florian.114 Allerdings erwarb der Prälat der oberösterreichi-
schen Abtei Sitzmöbel nicht nur in der ostbayrischen Grenzstadt, sondern richtete
seinen Blick auch nach Süden und ließ im Jahr 1731 24 Sessel aus Venedig kommen.115
Anders als man vielleicht vermuten würde, mussten die Prälaten zum Ankauf von
Möbeln nicht einmal in die Ferne reisen, häufig genügte der Besuch einer Verkaufs-
messe in der nächsten größeren Stadt. Denn auf Jahrmärkten besaßen auch ortsfremde
Händler und nicht-zünftige Handwerker die Befugnis, ihre Waren feilzubieten. Aus
leicht verständlichen Gründen führten die Zunftvertreter immer wieder Beschwerde
gegen die »Störer« oder »Pfuscher«, wie sie die Fremden nannten, doch konnte es aus
Gründen, die ebenso klar auf der Hand liegen, nicht im Interesse von Adel und Klerus
sein, die Konkurrenz unter den Handwerkern vollständig zu unterbinden.116
111 Tropper, Bessel (1983), 648. Der gängigen Interpretation zufolge bezieht sich die stabilitas loci aller-
dings eher auf die lebenslange Bindung der Mönche an eine bestimmte Ordensgemeinschaft.
112 Neumüller, Vorarbeiten (1961), Bd. 1, 193, Qu. 2094, Eintrag vom 22. Februar 1678.
113 Steidl, Mobilität (2003), 92.
114 StAGö, K-G/L. 8, RR 1722, Nr. 563 und RR 1724, Nr. 355, 356. Vgl. zu St. Florian den entsprechen-
den Abschnitt im vorliegenden Buch.
115 Vermutlich überzeugten die venezianischen Möbel mit ausgefallenen Schnitzarbeiten. Colombo, L’arte
(1981), bes. Abb. 347, 350 und 351 mit Möbeln von Andrea Brustolon (1662–1732).
116 Der Ankauf von Mobiliar aus fremden Kunstzentren durch Adel und gehobenes Bürgertum muss
fast alltäglich gewesen sein. So führten Londoner Tischler allein in den ersten beiden Monaten des
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693