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Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente |
65Zu
den Detailformen
Stücke anboten, wäre meines Wissens noch zu untersuchen.129 Schaut man über die
Alpen, erstaunt das späte Vorkommen der Intarsienkünstler im süddeutschen Kunst-
raum freilich, denn auf der Apenninenhalbinsel, namentlich in der Toskana, hatte die
Intarsienkunst schon lange zuvor ihre höchste Blüte erreicht. Erinnert sei hier nur
an die prachtvollen Sakristeimöbel in der Domkirche zu Florenz, die zwischen 1436
und 1465 entstanden.130 Seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts verzichteten
italienische Tischler jedoch immer häufiger auf die Holzeinlagen, da die Kunstkritik
diese Handwerkstechnik nunmehr als minderwertig verurteilte, sodass Giorgio Vasari
(1511–1574) in seinen Künstlerviten das Intarsieren von Möbeln mit den Attributen
inutile und tempo buttato invano versah – für ihn war diese Technik nicht mehr als un-
nütz vertane Zeit.131 Stattdessen ließen italienische Tischler die von ihnen gebauten
Möbel jetzt von Bildhauern fertigstellen.
Im Osten Österreichs vollzog sich dieser Stilwandel mit einer zeitlichen Verzöge-
rung von einem halben Säkulum. Erst im zweiten Viertel des 17.
Jahrhunderts wurden
Furnierbilder auch hier seltener, stattdessen griff man nun vermehrt zum Schnitzmes-
ser. In der als Knorpelstil bezeichneten Ornamentsprache herrschten manieristische
und frühbarocke Formen vor mit Groteskköpfen, schotenartigen Verdickungen und
gedärmartigen Verschlingungen, die ursprünglich im niederländischen Kunstraum
beheimatet waren und über die Vermittlung deutscher Ornamentisten in Österreich
bekannt wurden. Als Beispiele hierfür könnten das um 1620 oder 1630 entstandene
Chorgestühl in der Piaristenkirche zu Krems (Farbtaf. 14 ; Abb. 180, 181) oder das
Chorgestühl im Stift Altenburg aus der Jahrhundertmitte genannt werden (Abb. 93–
96). Ihren Höhepunkt fanden diese Ziermotive in Stichen von Friedrich Unteutsch
(um 1600–1670), dessen Formenvokabular der Schnitzkunst noch weit bis ins dritte
Viertel des 17. Jahrhunderts hinein entscheidende Impulse verlieh.132
Neben den erwähnten Zierornamenten konnte seit der Mitte des 17. Jahrhunderts
ein weiteres charakteristisches Motiv stehen. Es handelt sich um ein meist ellipsen-
förmiges Feld, das sich ähnlich einem Schmuckstein mit Cabochonschliff nach außen
wölbt. Die Tischler schwärzten die konvex gebauchten Felder oder überzogen sie mit
Furnieren aus Nussbaum und Pappelmaser. Am Beginn der Reihe solcher Arbeiten
steht das vermutlich um 1653 gefertigte Chorgestühl der Linzer Stadtpfarrkirche Ma-
129 Zu Italien vgl. Rohark, Intarsien (2007), 113.
130 Haines, Sacrestia (1983) ; Massinelli, Mobile (1993), 136. Im Kapitel »Zur Entwicklungsgeschichte der
Sakristeischränke« wird die Sakristeiausstattung genauer beschrieben.
131 Vasari, Vite (1568), 41. Als Einführung zu italienischen Intarsienarbeiten bietet sich der ausführliche
Überblick von Massimo Ferretti an. Ferretti, Maestri (1982).
132 Berliner/Egger, Vorlageblätter (1981), Bd. 1, 82, Bd. 2, Abb. 949.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693