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66 | Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente
riae Himmelfahrt.133 In den 1670er-Jahren griff man in Wien beim Bau von Mö-
beln für die Minoriten-, Serviten-, Rochus- und Jesuitenkirche auf das Motiv zurück
(Abb. 28, 29, 56). Zwei Jahrzehnte später wird auf diese Weise Mobiliar in Baum-
gartenberg, St. Florian und in der Linzer Karmeliterkirche geschmückt, um 1721/23
noch die Chorgestühle in St. Pölten und Dürnstein, nun freilich in der optischen
Wirkung deutlich verhaltener (Abb. 291–293, 338, 339, 346 ; Farbtaf. 07, 17, 26, 28).
Kommt das Motiv an Möbeln nicht allzu häufig vor, war es im späten 17. und frühen
18. Jahrhundert bei der Fertigung von Inschriftenkartuschen an Altären und Epita-
phien ein wichtiges Gestaltungselement. Vermutlich geht es hierzulande auf einen
Stich von Friedrich Unteutsch aus der Zeit um 1640 zurück, der sich an italienischen
Vorbildern orientiert haben mag.134
Seit den 1680er-Jahren ist eine durchgreifende Neuorientierung in der Tischler-
kunst bemerkbar : Italienische Akanthusmotive, zunächst von süddeutschen Künst-
lern übernommen, verdrängten die frühbarocken nordischen Formen mit ihren oft-
mals unterschwellig-erotischen Konnotationen. Matthias Echter (1653–1701/03) aus
Graz übernahm sie um 1680 ebenso in seinen Vorlagenstichen wie einige Jahre später
der Wiener Hoftischler Johann Indau (1651–1690).135 Geschnitztes Akanthuslaub-
werk, dessen Ausformung vom vollen fleischigen Blatt bis hin zu dürrem distelartigem
Laub reichte, war um 1700 das Ornamentmotiv am Mobiliar im Osten Österreichs
schlechthin. Ein anschauliches Beispiel für den Übergang vom Knorpel- zum Akan-
thusstil bieten die im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts entstandenen Beichtstühle
in der Linzer Jesuitenkirche (Abb.
332, 333). Die Schnitzarbeiten am Korpus der Mö-
bel weisen noch reines Knorpelwerk auf, wohingegen der vermutlich etwas spätere
Aufsatz aus Laubwerk besteht, das zwei sich aus langgezogenen Blättern entwickelnde
und eigenartig verdickte Ornamentmotive durchziehen. Der voll ausgebildete Akan-
thusstil findet sich dann beispielsweise in den um die Jahrhundertwende geschaffenen
Möbeln der Piaristenkirche zu Krems sowie der Stifte Baumgartenberg und St. Flo-
rian (Farbtaf. 21, 28 ; Abb. 184–186, 284–286, 344, 351).
Zugleich ließ im frühen 18. Jahrhundert der Einfluss der italienischen Kunst zu-
gunsten der französischen nach. Dekorationsformen, die wie das »Laub- und Bandl-
133 ÖKT, Linzer Kirchen (1964), 379, Abb. 418.
134 Ornamentstichsammlung MAK, Wien, KI 1-386-3. Zu italienischen Beispielen vgl. Ferrari, Legno [ca.
1928], 172, 173, 191, Abb. 104, 105, 123, mit dem um 1600 entstandenen Chorgestühl aus S. Maria
Maggiore in Bergamo und einer Tür, die vor 1584 gebaut wurde.
135 Weitere Ornamentstecher mit ähnlichen Motiven waren Heinrich Oelker, Leonard Heckenauer d. J.
(1669–1704) sowie Johannes Unselt (nachw. 1681–1696). Berliner/Egger, Vorlageblätter (1981), Bd.
1,
87–89, 99, Bd.
3, Abb.
1054, 1055, 1060–1064, 1068, 1069, 1205, 1206 mit Blättern von 1679, um 1700
und 1710.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693