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Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente |
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der Besteller.151 Noch um 1700 bestimmten italienische Architektur, Malerei und
Ornamentik das Kunstgeschehen in Wien weitgehend. Bald danach kam es zu ei-
ner Zäsur, und aristokratische Auftraggeber begeisterten sich zunehmend für die vom
französischen Hof favorisierten künstlerischen Ausdrucksformen. Vermittelt wurden
sie nicht zuletzt durch Claude Le Fort du Plessy (nachw. 1707–1757), der im frühen
18.
Jahrhundert im Umfeld der Wiener Hocharistokratie zu einem gefragten Künstler
avancierte. Damals arbeitete er nicht nur im Auftrag von Eugen Franz, Prinz von Sa-
voyen-Carignan (1663–1736), sondern lieferte überdies Entwürfe zur Dekoration der
kaiserlichen Gemäldegalerie in der Wiener Stallburg. Außerdem dürfte die äußerst
prestigeträchtige Tischlerausstattung der Wiener Karlskirche auf seine Inventionen
zurückzuführen sein (Farbtaf. 03, 04 ; Abb. 35–39, 42–44).152
Als Beispiel für einen Prälaten, der der Kunst Frankreichs vor jener Italiens den Vor-
zug gab, mag erneut auf Abt Bessel in Göttweig hingewiesen werden, der 1724 einen
Kunstschlosser mit der Anfertigung eines Türschlosses samt Schlüsseln und anderem
Zubehör in französischer Manier beauftragte. Einige Jahre später richtete der Abt eine
Stiftsschlosserei ein, zu deren Leiter er den in Bayern gebürtigen, aber in Paris ausge-
bildeten Johann Hözel ernannte. 1731 erhielt dieser von Bessel die Weisung, für die
Abtei ein Balkongitter in französischen Rokokoformen zu fertigen. Danach ließ der
Abt bis in die 1740er-Jahre hinein in seinem Kloster diverse Zimmer nach Groteskvor-
lagen von Jeremias Wolff (1663–1724) ausmalen, dessen Entwürfen Drucke von Bérain
zugrunde lagen.153 Schon öfter waren Bessels enge Kontakte zum Hof in Wien der
Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.154 Wegen dieser Verbindungen fällt
auch eine sichere Antwort auf die Frage schwer, ob sich Bessel bei der Übernahme fran-
zösischer Kunstvorgaben wirklich von eigenen ästhetischen Neigungen leiten ließ oder
ob die Entscheidung nicht wesentlich von seiner Loyalität dem Kaiserhaus gegenüber
beeinflusst war. In einem weiteren Fall der Übernahme französischer Ziermotive spiel-
ten solche Überlegungen jedoch sicher keine Rolle : Gemeint sind die Kirchenbänke
und das Speisgitter von dem aus dem Elsass zugereisten Matthias Fieß 1723 in der
Piaristenkirche zu Horn (Abb. 167–169). Wenn die Formensprache der Einrichtung
auch nicht wirklich dem von Möbeln aus Paris bekannten goût français entspricht, hat
sie mit hiesigen ästhetischen Vorstellungen ebenfalls nur wenig gemein.
Bei alledem verzichteten andere Prälaten jedoch keineswegs auf die Rezeption ita-
lienischer Kunst. Nicht zuletzt belegt dies die Berufung von Antonio Maria Niccolò
151 Franz, Ornamentvorlagen (2011), 39.
152 Vgl. hierzu den Abschnitt zur Karlskirche.
153 Ritter, Bauherr (1972), 124 ; Lechner, Kunstschätze (1977), 66 ; ders., Göttweig (2008), 55.
154 Zuletzt Lechner, Göttweig (2000), 783.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693