Page - 78 - in Sakralmöbel aus Österreich - Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
Image of the Page - 78 -
Text of the Page - 78 -
78 | Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente
Nieten aus der Zeit der Beschlagwerkornamentik erinnern, da man sie auf dem Grund
zwischen den Bossen befestigte. Mithin scheint vorstellbar, dass die Entwürfe der ba-
rocken Türen aus einer Synthese der Inventionen Serlios mit ausgeführten italieni-
schen Türen hervorgingen. Vielleicht handelte es sich bei den Planern sogar um die
italienischen Architekten Passibili Castellazzi († 1656) und Pietro Francesco Carlone
(um 1606–1681), deren Tätigkeit in Schlägl und Linz nachgewiesen ist. Den Türen
verleiht die ästhetische Wirkung der Diamantquader einen schweren und abweisen-
den Fortifikationscharakter ; ihre Rautenform lässt an mittelalterliche, mit Eisenble-
chen und Metallbändern armierte Kirchenportale ebenso denken wie an massive und
unüberwindbare Portale wehrhafter Festungen. Kurz nach dem Ende des Dreißig-
jährigen Krieges, in dessen Verlauf die gottlose rebellische paurschaft das Stift Schlägl
in Schutt und Asche gelegt hatte, und in einer Epoche immer wieder aufflammender
sozialer Unruhen ist die Wahl für die besondere Ausgestaltung der Türen nur allzu
verständlich.
Eine weitere Besonderheit einiger oberösterreichischer Möbel betrifft die Wan-
gen der Kirchenbänke : In Wien und Niederösterreich, meist auch in Oberösterreich,
fasste man die Docken als Einheit auf und verzierte sie bis hinunter zur Fußleiste.
Wie im zweiten Band der Untersuchung näher ausgeführt wird, liegt in Salzburg ein
gänzlich anderer Befund vor : Dort erweisen sich die Wangen zwar nicht konstruktiv,
aber formal als zweigeteilt. Ihr Sockelbereich ist deutlich vom darüber liegenden Teil
geschieden. Wie die Gestühle in Baumgartenberg (Abb. 289, 290) und Schlierbach
(Abb. 375) dokumentieren, wurde das in Oberösterreich bisweilen übernommen.
In Verbindung mit den Möbeln dieses Kunstraums fällt ferner die Vorliebe für Ge-
simse auf, die mit einem markanten V-förmigen Einzug versehen sind. An Inven-
tarstücken in der ehemaligen Stiftskirche von Baumgartenberg (Abb. 288, 292), in
der Jesuiten- und der Karmelitenkirche (Farbtaf. 26 ; Abb. 331, 332, 336, 339), beide
in Linz, sowie in St. Florian (Abb. 345–347) ist das gut zu beobachten. Allerdings
kommt das Motiv auch an Sakristeischränken in St. Stefan zu Wien (Abb. 79, 80)
sowie an Mobiliar in der Kremser Piaristenkirche (Abb. 186, 187) vor.
Im Hinblick auf die Eigentümlichkeiten oberösterreichischer Tischlerarbeiten
gaben bereits Franz Wagner und Franz Windisch-Graetz weitere Hinweise : Relativ
häufig, so Wagner, kommen dort Möbel mit Ebenholzimitationen aus schwarzer Paste
vor.165 An den hier untersuchten Inventarstücken finden sie sich an der Lesekanzel des
Festsaals im Kloster Lambach (Abb. 318). Und Windisch-Graetz beobachtete, dass
165 Wagner, Kunsthandwerk (1999), 577–578. Schwarzer Kitt findet sich zwar auch am Laiengestühl der
Wiener Karlskirche sowie an der Sakristeiausstattung des Klosters Dürnstein (Farbtaf. 04, Abb. 108–
110), scheint in Wien und Niederösterreich aber eher eine Ausnahme gewesen zu sein.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693