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82 | Die Entwicklung des Kirchenmobiliars
Hinweise geben, waren nun gegeneinander gerichtet. Eine Chronik von 1174 berichtet
von einer verheerenden Feuersbrunst in der Kathedrale von Canterbury, bei der das
Chorgestühl eingeäschert worden sei ; leider ist auch dessen Form nicht bekannt.174 Aus
dem ausgehenden 12. Jahrhundert haben sich schließlich Reste eines Gestühls in der
Domkirche zu Ratzeburg erhalten.175 Mit kleinen Säulen und Schweifungen dekorierte
Docken trennen die Sitze des Möbels voneinander. Bestehen bei jüngeren Gestühlen
die Arm- oder Schulterstützen, die Accoudoirs, aus halbrund geformten Bohlen, die von
oben auf die Wangen aufgelegt werden, so enden die Docken des Ratzeburger Gestühls
mit einem massiven Rundstab, der rechtwinklig auf die gerade Rückenlehne zuläuft.
Eine hohe Rückwand, ein Dorsale, fehlt und war vermutlich auch nie vorhanden, denn
sie wurde erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts allgemein üblich. Zuvor genügte die
mit textilen Behängen und Malereien verzierte Choraußenwand oder das Mauerwerk
der Chorschranken.176 Die Entwicklung der Chorgestühle, wie wir sie heute kennen,
setzte folglich zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert ein.
Im deutschsprachigen Raum ist die Errichtung der ersten Lettner, die das Laien-
schiff vom Psallierchor schieden, für das späte 12. oder frühe 13. Jahrhundert ver-
bürgt.177 Die Kirchenräume erhielten damit eine neue innere Aufteilung. Westlich der
Trennwand stand der Laien- oder Kreuzaltar, im Osten schloss sich das Chorgestühl
der Mönchsgemeinschaften an. Die strikte Separation von Geistlichen und Konversen
bzw. Laien sicherte den Mönchen ein hohes Maß an Abgeschiedenheit und Ruhe ;
nichts sollte sie von ihren geistlichen Übungen ablenken.178 Seit dem 16. Jahrhundert
empfand man die Querwände allerdings als störend, denn sie behinderten die freie
Sicht auf den Hochaltar, dessen Bedeutung beim Konzil von Trient (1545–1563) auf-
gewertet worden war. Nicht der Kreuzaltar, sondern der Hochaltar sollte sich wieder
174 Dictionary of Art, Bd. 7 (1996), 191. Winterfeld, Chorgestühl (1999), nennt als weiteres frühes Bei-
spiel das um 1200 entstandene Gestühl in der Kathedrale von Poitiers.
175 Busch, Chorgestühl (1928), 27, Taf. 3 ; RDK, Bd. 3 (1954), Sp. 515–516, Abb. 1 ; Heinrich der Löwe,
Bd. 1 (1995), 204–206.
176 RDK, ebd., Sp. 519–520 ; Mörtl, Chorgestühl (2010) ; ders., Dorsale (2010). Abbildungen dazu etwa
in Krautheimer, Bettelorden (1925), Abb. 12 ; Tieschowitz, Chorgestühl (1930), Taf. 1,3 ; Schmelzer,
Lettner (2004), Abb. 88. Vgl. hierzu auch die Zeichnung von 1831 mit einer Ansicht des Chors der
Nürnberger Sebalduskirche in Weilandt, Sebalduskirche (2007), Abb. 116 ; außerdem die Beiträge zu
den Gestühlen in der Wiener Franziskanerkirche (Abb. 19–21) und im Stift Zwettl.
177 Zur Entwicklung und Funktion von Lettnern Gamber, Sancta Sanctorum (1981), 109–119 ; Schmelzer,
Lettner (2004).
178 Die Zisterzienser zählten zu den Ordensgemeinschaften, bei denen die Trennung besonders strikt war.
Der Bevölkerung von Lilienfeld wurde beispielsweise erstmals 1478 gestattet, an hohen Feiertagen
Stiftskirche und Kreuzgang zu besuchen. Unter Abt Cornelius Strauch (reg. 1638–1650) durften Laien
in der Stiftskirche auch Predigten hören. Mussbacher/Anzeletti, Abriss (2002), 23, 24. Sonst war Laien
bis weit in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein der Zutritt zu Klosterkirchen oft verwehrt.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693