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84 | Die Entwicklung des Kirchenmobiliars
(Abb. 19–21) betrifft das im Bereich der Klosterkirchen vor allem Sakralbauten der
Bettelorden.183 Halten sich die Mönche hinter dem Altar auf, befinden sie sich in
einem für die Gemeinde abgeschiedenen und nicht einsehbaren Architektursegment.
Die strikte Trennung der Laienkirche vom Raum der Ordenskommunität wird damit
unmittelbar zum Ausdruck gebracht. Welche Überlegungen zu dieser Segregation ge-
führt haben könnten, ist ungewiss, stand sie doch dem Selbstverständnis der Minori-
ten entgegen, die im Unterschied zu vielen anderen Glaubensgemeinschaften gerade
ihre besondere Volksnähe betonten. Nach einer These von Roland Pieper könnte der
vom hl. Franziskus gelebte Eremitengedanke zu der architektonischen Besonderheit
des abgeschlossenen Mönchschors geführt haben. In der Frühzeit der Bettelorden, so
die Vermutung Piepers, dürften viele Ordensvorsteher bestrebt gewesen sein, die Idee
der Abkehr von der Welt zumindest bei Gottesdienst und Stundengebet zu demons-
trieren.184 Tatsächlich scheint das Platzangebot in vielen Sakralbauten zumindest des
Franzikanerordens anfangs auch dermaßen beschränkt gewesen zu sein, dass für Laien
oft nur außerhalb der Gebetsräume die Möglichkeit zur Teilnahme am Gottesdienst
bestand. Als die Minoriten später ihre Kirchen für Laien mit großräumigen Sak-
ralbauten zugänglich machten, errichteten sie zugleich durch den Altar abgetrennte
Langchöre, in die die Ordensgemeinschaften ausweichen konnten.185 Diese Praxis, die
beim Konzil von Trient explizit gestattet wurde, hat sich bis heute gehalten. Man
akzeptierte damals die Errichtung des Chorgestühls östlich des Altars, sollten dies
örtliche Gegebenheiten oder bestimmte historische Bräuche erforderlich machen.186
Gelegentlich kommen Gestühle auf Emporen, in Chorkapellen oder in Seitenka-
pellen vor187, meist befinden sie sich bei uns jedoch vor dem Hochaltar. Auf der Evan-
gelien- und der Epistelseite stehen sie sich im liturgischen Chor gegenüber, der nor-
malerweise im architektonischen Chor, bisweilen auch in der Vierung verortet ist, bei
den Zisterziensern darüber hinaus ins Mittelschiff ausgreifen kann.188 Oft konzipierte
man Chorgestühle als monotone Aneinanderreihung von Sitzen, deren Anzahl sich
nach der Größe eines Konvents richtete. Ungeachtet der Tatsache, dass innerhalb der
Mönchskommunitäten strenge Hierarchien vorherrschten, manifestierte sich im uni-
183 Namentlich im Mittelmeerraum besitzen auch Weltkirchen häufig Gestühle zwischen Altar und Apsis.
Ferrari, Legno (ca. 1928), 176, 177, Taf.
108, 109, mit entsprechenden renaissancezeitlichen Möbeln in
den Apsiden der Domkirchen zu Genua und Savona.
184 Pieper, Grundgedanken (2012), 467. Pieper untersuchte die Gepflogenheiten des Kapuzinerordens.
185 Untermann, Architektur (2012), 341, 342. Untermann studierte dies am Beispiel der Ordensprovinz
Sachsen.
186 Mayer-Himmelheber, Kunstpolitik (1984), 111.
187 Einige Beispiele dazu werden im Buch vorgestellt, etwa Abb. 209, 357.
188 Untermann, Forma Ordinis (2001), 233-234.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693