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Die Entwicklung des Kirchenmobiliars |
85Zur
Geschichtede Chorgestühle
formen Aufbau der Chorgestühle die Idee vom Abt als primus inter pares. Es versteht
sich von selbst, dass die Hervorhebung der Mittelachse eines Gestühls da eigentlich
nicht möglich war, obwohl die Betonung der Mitte aus ästhetischen Gründen gerade
bei barocken Möbeln zu erwarten wäre. Allenfalls war sie wie in Altenburg durch eine
entsprechende Ausgestaltung des Gebälkaufsatzes denkbar, dort liegt zudem der sel-
tene Fall der Akzentuierung der zentralen Travéen vor (Abb. 97).
Um Ordenstraditionen weiterzuführen oder ein Gestühl räumlichen Gegeben-
heiten anzupassen, konnte das westliche Ende abgewinkelt werden, sodass sich im
Grundriss eine zum Altar hin offene U-Form ergab. Im Osten Österreichs liegen
hierfür wie in Göttweig, Lilienfeld oder Zwettl etliche Beispiele vor (Abb. 128, 209 ;
Farbtaf. 20).189 Normalerweise nahmen die Klostervorsteher die Stallen im Westen
ein, nur bei Messen, die von ihnen selbst zelebriert wurden, saßen sie in Altarnähe
am östlichen Ende. In Ausnahmefällen können sich ihre Sitze auch formal von den
anderen Stallen unterscheiden ; Göttweig wäre hierfür eines der Beispiele (Abb. 137).
Wie in Dürnstein oder Herzogenburg wurden vor allem von Augustiner- und Prä-
monstratenser-Chorherren für Abt und Prior Einzelstallen gefertigt (Abb. 114, 115,
162, 164). Bei Zisterziensern und Benediktinern steht dem Prior der Sitz auf der für
die Eucharistiefeier wichtigeren Evangelienseite zu, dem Abt der Sitz auf der Epis-
telseite. Die Chorherren bevorzugten eine Sitzordnung im Gegensinn. Bedingt durch
die Sitzordnung schauten die Mönche meist schräg auf den Altar, die Klostervorsteher
auch direkt. Letztere konnten zugleich die Konventualen beobachten, für deren »got-
tesfürchtiges« Verhalten sie Sorge zu tragen hatten.
Abgesehen von den Einzelstallen wurden die Gestühle meist als durchlaufende Rei-
hen konzipiert, doch gibt es auch hiervon Ausnahmen, wie die Exemplare in Kloster-
neuburg, Herzogenburg, St. Pölten oder Schlägl belegen (Farbtaf. 17 ; Abb. 162, 174,
372). Charakteristisch für die Großform dieser Möbel ist die Zweiteilung, die auf dem
Umstand beruht, dass die Chorherren in diesen Klöstern eine besondere Lage der
Sakristei im Raumgefüge des Klosterareals und damit eine ungewöhnliche Art des
Zugangs zur Sakristei bevorzugten.
Wahrscheinlich aus klimatischen Gründen wurden Chorgestühle auf einem Lauf-
boden errichtet. Die Stallen verteilte man beidseitig auf eine, zwei oder drei Sitzreihen,
die nach hinten anstiegen. Dabei unterschied ein bedeutendes Charakteristikum die
nachfolgend beschriebenen Gestühle in österreichischen Zisterzienserkirchen von je-
nen des süddeutschen Kunstraumes : Nach den Untersuchungen von Sybe Wartena
besaßen die Chorgestühle der Zisterzienser bei unseren nördlichen Nachbarn stets
189 Die abgewinkelte Form findet sich besonders häufig bei Zisterziensern, Kartäusern und Prämonstra-
tensern. Wartena, Süddeutsche Chorgestühle (2008), 36–38.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693