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86 | Die Entwicklung des Kirchenmobiliars
einen zweireihigen Aufbau. Die hintere Sitzreihe stand den Priestermönchen zu, den
Novizen die vordere. Und die Stallen der Novizen, so Wartena weiter, waren in Süd-
deutschland niemals mit einer eigenen Brüstung ausgestattet.190 Die Gestühle von
Heiligenkreuz, Lilienfeld, Wilhering und Schlierbach belegen indes, dass diese Usance
zumindest in Österreichs Osten keine Geltung besaß (Farbtaf. 10, 32 ; Abb. 202, 209,
376).
Die relevante Forschung geht davon aus, dass die Anordnung der Möbel parallel
zur Kirchenlängsachse vor allem als Reaktion auf die Einführung des abwechselnden
Psallierens zweier Halbchöre zu verstehen sei, das sich in Rom seit dem frühen Chris-
tentum, bei uns seit der karolingischen Liturgiereform nachweisen lässt.191 Meist mit
einer hohen Rückwand versehen, schließen die Stallen mit einem kräftigen Gesims
oder tiefen Baldachin. Bei Gestühlen der »offenen« Form reichen die Zwischenwan-
gen bis unter die Schulterringe (Abb. 138), bei solchen der »geschlossenen« Form
setzen sie sich als Hochwangen über den Accoudoirs fort (Abb. 245).192 Die Sitz-
bretter können häufig nach oben geklappt werden. An ihrer Unterseite befinden sich
bei den Zisterziensern, gelegentlich auch bei Stallen anderer Orden, »Miserikordien«
zum Abstützen beim Stehen. Schnitzarbeiten und Intarsien können an allen Teilen
des Gestühls vorkommen, jedoch wurde auf eine Verzierung der Außenflächen meist
besonderer Wert gelegt.
Ein Beschluss des Tridentinums wies die Planung von Chorgestühlen bei der Neu-
gestaltung von Sakralräumen ausdrücklich dem Verantwortungsbereich von Archi-
tekten zu.193 Inwieweit dem im Einzelfall wirklich entsprochen wurde, wäre noch zu
ermitteln. Viele Gestühle, etwa jenes von Göttweig, sind jedoch charakteristische Ver-
treter für den Typus der »Reihengestühle«, deren Gestaltung so gut wie keinen Bezug
auf den die Möbel umgebenden Raum erkennen lässt (Farbtaf. 09). Nicht als formal
geschlossene Einheiten, sondern als additive Aneinanderreihung einzelner Segmente
konzipiert, könnten sie verlängert oder verkürzt werden, ohne dass sich dies nachteilig
auf die Gesamtform auswirken würde. Eine Verschmelzung der Einzelteile zu einer
organisch wirkenden Komposition war nicht angestrebt. Anders ging der Konvent
in Altenburg bei der Planung seines Gestühles vor : Für den Raum zwischen zwei
190 Wartena, ebd., 36.
191 Hucke, Gesang (1954) ; ders., Karolingische Renaissance (1975) ; Jacobsen, Klosterplan (1992), 250–
254, mit weiteren Literaturhinweisen. Zur Frage, wie man sich die Geschichte des Wechselgesangs im
Zeitalter des Barock vorstellte, vgl. Bona, Rerum liturgicarum (1747/1753), Bd. 2 (1749), 376–385.
192 RDK, Bd. 3 (1954), Sp. 522. Gestühle mit nach vorn hin offenen Einzelgehäusen sind für den Kar-
täuserorden vorgeschrieben. Wartena, Süddeutsche Chorgestühle (2008), 34. Außerdem findet sich der
»Zellentyp« bei frühen Gestühlen der Zisterzienser. Untermann, Forma Ordinis (2001), 238.
193 Mayer-Himmelheber, Kunstpolitik (1984), 111.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693