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92 | Die Entwicklung des Kirchenmobiliars
Auf der Seite des Geistlichen sollte es nach Borromeo mit einem buratum, einem Tuch
verhängt werden, in der Barockzeit verschloss man es meist zusätzlich mit einem hölzer-
nen Laden.213
1591 fasste Jacob Müller (1550–1597) die Richtlinien Borromeos zur Gestaltung
von Beichtstühlen in seinem Buch über Kirchenausstattungen zusammen ; dort fin-
den sich entsprechende Anregungen und ein detaillierter Riss zu ihrer Veranschau-
lichung.214 Die Vorlage zeigt ein kastenförmiges zweiteiliges Möbel, dessen Korpus
unverkennbar die Form profaner Kleiderschränke rezipiert. Der vorn offene Beicht-
stuhl steht auf einem mäßig hohen Sockel, besitzt massive Seitenwände und schließt
über einem kräftigen Gebälk mit einem geschweiften, von einem Kreuz bekrönten
Aufsatz. Eine Wand trennt Priester und Pönitent. In der Zelle des Geistlichen erkennt
man eine Sitzbank, an den Wänden hängen Schrifttafeln. In das andere Gehäuse ist
ein Kniepult eingestellt, ein schlichter Holzschnitt erinnert an die Leiden Jesu. Der
Entwurf präsentiert noch ein Möbel mit zwei Zellen, im folgenden Jahrhundert wur-
den die Beichtstühle dann mit zwei seitlichen Kammern für die Pönitenten und einer
mittleren für den Geistlichen meist dreiteilig.215
Schon die Konstruktion des von Müller entworfenen Möbels verdeutlicht, dass es
sich hier um einen frühen Beichtstuhl handelt, denn noch steht die Kniebank entge-
gengesetzt zur Sitzrichtung des Priesters ; der Pönitent schaute also zur Rückwand
des Möbels. Die Vorderseite der Beichtstühle beließ man bis weit ins 17. Jahrhundert
hinein häufig offen. Dann wurde zunächst die Zelle des Priesters mit einer halbho-
hen Tür verschlossen, später bisweilen auch die Nischen der Beichtenden. Vor allem
in italienischen Kirchen scheint es zusätzlich Brauch gewesen zu sein, in Kopfhöhe
der Pönitenten eine parallel zur Rückwand ausgerichtete Blende anzubringen, die
als Sicht- und Schallschutz diente.216 Erst seit dem 19. Jahrhundert versah man die
Möbel generell mit Türen. Selbstverständlich waren die Beichtstühle mit dem jeweils
zeittypischen Zierrat geschmückt.217
213 Borromeo, Instructiones fabricae (2000), Bd. 1, Kap. 23, 114–115 ; Mayer-Himmelheber, Kunstpolitik
(1984), 150.
214 Müller, KirchenGeschmuck (1591), 159–162. Müller war ab 1588 Administrator der Diözese Regens-
burg.
215 Allerdings gab es auch schon zuvor dreiteilige Beichtstühle. Vgl. Meulen, Beichtstuhl (2009), 117, mit
einem um 1580/81 für die Mailänder Jesuitenkirche San Fedele geschaffenen dreiachsigen Confessi-
onale. Der älteste entsprechend gefertigte frei stehende Beichtstuhl nördlich der Alpen ist aus dem
westfälischen Stromberg bekannt. RDK, Bd. 2 (1948), Sp. 187, Abb. 3.
216 Solche Blenden finden sich beispielsweise auch in den seitlichen Gehäusen der Beichtstühle des Wie-
ner Schottenstiftes (Abb. 86), doch scheint es sich dabei nicht um die originale Konstruktion zu han-
deln. Mündlicher Hinweis von P. Augustinus Zeman.
217 Dies trifft auch für evangelische Beichtstühle zu, doch bildeten sie einen größeren entwicklungsge-
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693