Page - 94 - in Sakralmöbel aus Österreich - Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
Image of the Page - 94 -
Text of the Page - 94 -
94 | Die Entwicklung des Kirchenmobiliars
der ikonografischen Programme bestand nicht nur in der Befriedigung ästhetischer
Ansprüche, ihnen kam in theologischer Hinsicht auch jene Aufgabe zu, die in den
Gehäusen der Beichtenden die Druckgrafiken mit ihrer Bildthematik übernahmen :
Unter Hinweis auf büßende Heilige wurden die Pönitenten aufgefordert, ihr Gewis-
sen zu prüfen, begangene Sünden zu bereuen, sich zur Umkehr zu entschließen, die
Verfehlungen zu bekennen und in der Folge zu vermeiden. Anders als die Drucke in
den Beichtstühlen sprachen die Darstellungen auf den Möbeln eine große Zahl von
Gläubigen an, wurden sie doch bei jedem Kirchenbesuch gesehen und weckten so die
gewünschten Assoziationen. Das wurde auch schon von den Zeitgenossen erkannt.
So lobte Dechant Franz Dittel 1740 in seiner Trauerrede am Grab des Dürnsteiner
Prälaten die Gestaltung der Beichtstühle, die mit fürgestellten Beyspillen deren Büssen-
den, auß H. Schrift gezogen, alle Büssende zu desto reumüthigerer Buß aufmuntert.220 In
ihrer Untersuchung zur theatralischen Wirkung von Kirchenausstattungen geht Ur-
sula Brossette noch einen Schritt weiter : Sie interpretiert solche Möbel als eine Art
von Theaterbühne für szenische Darstellungen von Reue, Buße und Umkehrung, die
Aufsatzfiguren müssen ihrer These zufolge als Protagonisten eines religiösen Schau-
spiels verstanden werden.221 Falls Brossettes These zutrifft, waren die zum Bußgang
entschlossenen Gläubigen direkt in den Handlungsstrang einer ergreifenden Insze-
nierung einbezogen. Sie traten gleichsam in einen Dialog mit den Plastiken auf den
Möbeln, waren zugleich Zuschauer und aktive Teilnehmer eines »Bühnenstücks«.
Durch ihre Gebete und Gesänge, durch ihr Niederknien und Aufstehen übernahmen
sie den Part von Mitwirkenden. Mittels performativer Aktionen, so Brossette, be-
fanden sie sich mit den Figuren aus der Heilsgeschichte in direkter Interaktion. Die
Grenzen zwischen Illusion und Wirklichkeit verschwammen dabei ebenso wie jene
zwischen Historizität und Gegenwart.222
Selbst wenn man diesem Gedankengang vielleicht nicht in allen Details folgen mag,
darf doch als sicher gelten, dass die vom Tridentinum empfohlenen Maßnahmen zur
Auslösung bestimmter Affekte eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung der
Beichtstühle spielten. Darstellungen büßender Heiliger und anderer aus der Heiligen
Schrift bekannter Personen richteten sich indes nicht nur an katholische Gläubige,
sondern müssen darüber hinaus als visuelle Reaktion der römisch-katholischen Kir-
che auf die Forderung der Protestanten nach der Abschaffung des Beichtsakramentes
verstanden werden – eine Reaktion, die die Kirchenbesucher auf einer emotionalen,
220 Zitat nach Kain/Penz, Inszenierung (2010), 133.
221 Brossette, Inszenierung (2002), Bd. 1, bes. 462–467.
222 Vgl. hierzu die in Verbindung mit der Dekoration von Chorgestühlen vorgestellte Theorie Brossettes
sowie den großartigen Beichtstuhl in Sta. Maria Maggiore, Bergamo. Ferrari, Legno [ca. 1928], 262,
263, Taf. 62, 63.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693