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Die Entwicklung des Kirchenmobiliars |
97Zur
Geschicht der Laiengestühle
Besitzers oder seiner Familie, eine Usance, die bis ins 19. Jahrhundert hinein weiter-
geführt wurde.234 Aufgestellt wurde das Laiengestühl im Mittelschiff, manchmal
reichten die Bänke, wie im Kloster Neukloster (Abb. 258), in die Seitenschiffe hinein.
Da sich Seitenaltäre in der Frühen Neuzeit häufig an die Kirchenpfeiler anlehnten,
konnten die Gläubigen so bequem die Messen an den Altären verfolgen.235 In an-
deren Kirchen stand die Bestuhlung in drei großen Blöcken in der Mittelachse des
Hauptschiffs sowie in den Seitenschiffen, wobei man dann auf einen Mitteldurchgang
im Hauptschiff verzichtete. In den hier untersuchten Regionen befestigte man die
Bänke in der Barockzeit ausnahmelos auf einem Sockel. Als Schutz gegen aufstei-
gende Feuchtigkeit und Kälte war das in den damals noch unbeheizten Sakralbauten
sicher kein überflüssiger Luxus. Beim Verlegen neuer Fußböden in den Kirchen wurde
im 17. und 18. Jahrhundert meist schon der spätere Standort der Möbel festgelegt.
Das zeigt sich noch heute daran, dass der Boden unter Gestühlen oft nicht mit Platten
belegt ist. Um Materialkosten zu sparen, wählte man in der Regel eine preisgünstigere
Variante und pflasterte den Boden unter den Möbeln mit Ziegelsteinen.236
Die Bestuhlung der Sakralbauten ging keineswegs diskussionslos vonstatten, wie
das Beispiel der Mailänder Kirchenprovinz dokumentiert. Dort bestand Erzbischof
Borromeo auf einem Verbot der Sitzmöbel, ließ jedoch auch Ausnahmen zu. Mit aus-
drücklicher Genehmigung der bischöflichen Behörden und nur für weibliche Kirchen-
besucher durften mit Knie- und Sitzbänken versehene Möbel, Borromeo nannte sie
bradelle, aufgestellt werden, wohingegen er männlichen Gemeindemitgliedern allen-
falls mobile Hocker ohne Kniebänke entlang der Wände zugestand.237 Dabei wurde
in Mailand vielleicht strenger als andernorts darauf geachtet, dass es nicht zu einer
Durchmischung der Geschlechter kam. Neben der räumlichen forderte Borromeo
auch die optische Separation. Zunächst nahm er sie mithilfe von Vorhängen in der
Mitte der Kirchenschiffe vor, doch reichte diese Vorsichtsmaßnahme offenbar nicht
aus, denn 1576 erfolgte die Anweisung, in den Sakralbauten seines Erzbistums höl-
zerne Trennwände zu errichten.238 Allerdings ließ sich sein Vorhaben nur begrenzt
durchsetzen – seiner Forderung kam man lediglich in der lombardischen Hauptstadt
nach. Die Holzkonstruktionen wurden zwar alsbald wieder entfernt, doch sorgten in
234 Thormann/Kapp, Kirchenstuhlschild (2010).
235 In der Domkirche zu Graz, die im zweiten Band der Untersuchung vorgestellt wird, entspricht das zum
Teil noch der heutigen Situation.
236 1591 erwähnte Jacob Müller Laiengestühle in seinem Buch nur in einem Nebensatz, auf ihre Form
ging er nicht ein. Müller, KirchenGeschmuck (1591), 9.
237 Borromeo, Instructiones fabricae (2000), Bd. 1, Kap. 25, 120–123 ; Mayer-Himmelheber, Kunstpolitik
(1984), 151–152.
238 Borromeo, ebd., Kap. 24, 118–121 ; Mayer-Himmelheber, ebd., 40, 151.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693