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Sakristeien |
103Der
Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel
Vorderseite sichtbar ist, setzt sich aus Stollen unterschiedlicher Breite zusammen, vier
Türen verschließen den Inhalt. Ihre Konstruktion besteht aus Rahmen und Füllun-
gen, Letztere hat man handwerksgerecht in Nuten eingeschoben.257 Zickzackbänder
und feine Rillen zieren das Möbel, je eine große rundgedrehte, profilierte Scheibe
schmückt die zentralen Türfelder. Ihre Mitte akzentuierte ursprünglich vermutlich
ein Knauf. Die Türangeln bestehen nicht aus langen Eisenbändern, wie wir das von
späteren mittelalterlichen Möbeln her kennen, sondern aus runden Metallscheiben
mittlerer Größe, Zugringe helfen beim Öffnen der Türen. Produktionstechnisch steht
der Schrank noch in der Tradition der spätantiken Möbelkunst und damit weit über
jener der folgenden Jahrhunderte258, wohingegen die Auszier des Möbels schlichter
kaum sein könnte. Mit der differenziert ausgearbeiteten Oberflächengestaltung antiker
Möbel hat sie nichts mehr gemein. Wie Windisch-Graetz betonte, war das Wissen
um konstruktive Erfordernisse, das den Tischlern in der Antike zur Verfügung stand,
offenkundig noch gegenwärtig, während die für die Handwerkskunst der Spätantike
charakteristischen künstlerischen Ausdrucksfähigkeiten schon lange aufgegeben wor-
den waren.259
Der älteste frei stehende Schrank, der sich in Westeuropa erhalten hat, entstand um
1176 und steht seit seiner Anfertigung in der Zisterzienserabtei St. Etienne in Auba-
zine im französischen Departement Corrèze.260 Der schwere mehrtürige Kasten ist in
Stollenbauweise konstruiert, Holznägel halten die mit Schlitz und Zapfen versehenen
Rahmen. Aufgedoppelte Arkadenstellungen zieren die Schmalseiten, säulenartige Li-
senen die Außenkanten der Stollen, Kerbschnitzerei das profilierte Kranzgesims.
Anders als dieser Schrank, der durch seine handwerkliche Verarbeitung besticht,
kennzeichnet mittelalterliche deutsche Exemplare, auch jene aus dem sakralen Um-
feld, eine weniger hochstehende technische Ausführung.261 Durch Eisenbänder ver-
bundene Holzplanken formen an den meist eingeschossigen Möbeln den Korpus, der
mit einem geraden oder giebelförmigen Hut schließt. Die Außenseiten sind zum Teil
bemalt, zum Teil auch mit Flachschnitzereien dekoriert, ansonsten bilden die Metall-
beschläge den einzigen Zierrat. Eine vergleichbare Bauweise und Dekoration ist auch
für die erhaltenen Truhen jener Epoche charakteristisch. Wie eine um 1180 gefertigte
Dachtruhe in der Pfarrkirche zu Millstadt in Kärnten belegt, zeugen einige dieser Mö-
257 Auch die Darstellung auf dem Codex Amiatinus gibt diese Art der Türkonstruktion wieder.
258 Vgl. hierzu die relevanten Angaben im Kapitel »Grundlegendes«.
259 Windisch-Graetz, Möbel Europas (1982/83), Bd. 1, 52. Zur Konstruktion mit Rahmen und Füllung
vgl. Kapitel »Grundlegendes«.
260 Windisch-Graetz, ebd., 187, Abb. 92.
261 Kreisel/Himmelheber, Deutsche Möbel, Bd.
1 (1981), bes. Abb.
25, 28, 30–35, 47. Die meisten der dort
genannten Schränke stammen aus Norddeutschland und entstanden im 13. und 14. Jahrhundert.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693