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St. Stephan | 225
wurde. Darüber hinaus dokumentieren die Fotos, dass die Schnitzarbeiten der Brust-
wände nach dem Krieg ergänzt, teilweise wohl auch erneuert werden mussten. Eine
völlige Überarbeitung widerfuhr zudem der Oberfläche des Möbels, die sich in ei-
nem erstaunlich homogenen und makellosen Zustand präsentiert. Die üblichen Al-
tersspuren fehlen weitgehend, was einen starken Eingriff durch Restauratoren wahr-
scheinlich macht.
In dem Schreiben wird zwar der bürgerliche Tischler Matthias Hackl (1597–1660)
in Verbindung mit der hölzernen Struktur des Gestühls erwähnt, doch fehlen Hin-
weise auf die Schnitzarbeiten.130 Daher muss mit einem Bildschnitzer, der das Möbel
vervollständigte, ein zweiter Vertrag geschlossen worden sein, der verloren ist. Die
relevante Fachliteratur vertritt die These, der Künstler könne mit Jacob Johann Pock
(1604–1651) zu identifizieren sein, dem man zuvor schon die Verfertigung des Hoch-
altars anvertraut hatte. Dabei sprechen stilistische Argumente gegen diese Vermutung,
denn ein Vergleich der beiden Inventarstücke lässt wichtige Unterschiede hinsichtlich
der künstlerischen Ausdrucksmittel erkennen : Der Altar steht mit den eher kleintei-
ligen Ornamentformen noch ganz in der Tradition manieristischer und frühbarocker
Ausstattungsstücke des österreichischen Kunstraums und weist damit ähnliche Cha-
rakteristika wie das Chorgestühl in Krems (Farbtaf. 14 ; Abb. 180) aus dem dritten
Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts auf. Anders das Chorherrengestühl in St. Stephan,
dessen Bildschnitzer sich völlig von dieser Tradition befreit hatte. Die Klarheit seines
Aufbaus sowie die kraftvoll geschnitzten Ziermotive deuten auf einen in Norditalien
geschulten Künstler. Im Osten Österreichs hat sich aus jener Zeit kein sakrales Möbel
erhalten, das hinsichtlich der künstlerischen Invention mit dem Chorherrengestühl
vergleichbar wäre.
Ratsherrengestühl
Wien, um 1640/50
HS 55 cm (19 cm + 36 cm)
H 255 cm (+ 55 cm) x L 440 cm
Eiche, Esche (?), massiv, schwarz lasiert, Nadelholz
Das zwischen dem Dreifaltigkeits- und dem Sebastiansaltar im südlichen Seitenschiff
befindliche zweireihige Gestühl weist zwölf Stallen auf (Abb. 75, 76).131
130 Hackl (Häckl) verstarb am 3. November 1660 im Bürgerspital in der Wiener Kärntnerstraße. Wagner,
Regesten (2014), ad vocem.
131 ÖKT, Stephansdom (1931), 423–425 ; Feuchtmüller, Stephansdom (1978), 309 ; Hladky, Kirchenmö-
bel, (2003), Bd. 1, 102, 106–108 ; Dehio, Wien, 1 (2003), 218.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693