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254 | Sakralbauten in Niederösterreich
zutage treten. Eine Parallele ergibt sich beispielsweise in den markant nach vorn ge-
kragten Gesimsstücken, die an den Brüstungen in Altenburg und Zwettl ein ähnlich
blockartiges Aussehen besitzen. Weiter überraschen an den Gestühlen die stark ge-
schwungenen Wangen der Stallenreihen mit nach hinten fluchtendem Fuß. Und der
Handknauf, der sich auf den Wangen der Stallen in beiden Stiftskirchen wiederfindet,
war zwar bei mittelalterlichen und renaissancezeitlichen Gestühlen üblich, kam aber
an Möbeln aus dem frühen 18. Jahrhundert nicht allzu häufig vor.
Dennoch scheint eine Zuschreibung des Altenburger Gestühls an Munggenast
fragwürdig, da die Großform des Möbels bedeutende Gemeinsamkeiten auch zum
1735 entstandenen Gestühl in der Pfarrkirche St. Veit zu Krems (Abb. 190, 191) auf-
weist. Das hölzerne Gerüst des Kremser Gestühls wurde vom ortsansässigen Tischler-
meister Joseph Gratwohl gefertigt, während Joseph Matthias Götz (1696–1760), ein
Bildhauer aus dem süddeutschen Raum, für den Entwurf des Möbels und die Schnitz-
arbeiten verantwortlich war.181 An beiden Gestühlen fällt die Betonung der Mitteltra-
vée auf, ein formaler Kunstgriff, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Denn meist
bestehen Reihengestühle, zu denen das in Altenburg gehört, aus einer monotonen
Abfolge von Sitzen, deren Anzahl sich nach der Größe eines Konvents richtete, nicht
aber nach ästhetischen Überlegungen mit Blick auf die Symmetrie der Formen.182 Auf
die Hervorhebung einer Gruppe von Stallen, die wie in Altenburg und Krems in der
Gestühlsmitte angeordnet sind, wurde daher sonst verzichtet.183 Weitere Analogien
betreffen die Zierformen der geschnitzten Rückwandaufsätze mit Voluten, Blattwerk
und Gitterflächen. Bedeutet dies, dass Götz, der damals nicht nur in Krems, sondern
an etlichen Klosterbaustellen der Gegend beschäftigt war, auch in Altenburg arbeitete
und für das Kloster Ausstattungsstücke entwarf ?
Vor einigen Jahren wurde genau diese These von Andreas Gamerith aufgestellt.184
Götz war in jener Zeit oder kurz zuvor in Zwettl tätig, er kannte also das dortige Ge-
stühl und könnte natürlich die erwähnten Charakteristika in einem Entwurf für das
Altenburger Exemplar zitiert haben. Da zudem die im Folgenden besprochenen Türen
und eine Zeichnung die Überlegung Gameriths untermauern, kann die aufgeworfene
Frage vermutlich bejaht werden. Allerdings muss noch auf eine weitere mögliche Ver-
bindung hingewiesen werden : Die Domkirche zu St. Pölten (Farbtaf. 17), der Heimat-
stadt Munggenasts, besitzt ein Gestühl, das 1722 gebaut wurde. Es ist in vier Blöcke
181 Windisch-Graetz, Tischlerhandwerk (1971), 328–329 ; Bauernstätter, Götz (1986), 94. Zum Gestühl
auch Heisig, Götz (2004), 40–41 und 228–229.
182 Vgl. hierzu das einführende Kapitel zur Entwicklung der Chorgestühle.
183 Lediglich die den Klostervorstehern zugedachten Stallen am Gestühlsende wurden manchmal betont
(etwa Farbtaf. 12 ; Abb. 137, 209).
184 Gamerith, Non otiose (2006), 382.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693