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360 | Sakralbauten in Niederösterreich
Wappen zu verzieren, wird auf frühere Gestühle zurückgehen : auf das Neue Gestühl im
Wiener Stephansdom (Abb. 73), auf das nicht mehr vorhandene Kayser-Gestühl in
Heiligenkreuz sowie natürlich auf das ebenfalls verlorene Vorgängergestühl in Klos-
terneuburg, das durch das jetzige Gestühl ersetzt wurde.372 An anderen Exemplaren im
Osten Österreichs kommen solche Wappenreihen nicht vor.
Dorsale und Hochwangen zeichnen sich durch ein flirrendes Durcheinander aus.
In Verbindung mit den übernommenen Wappenmotiven regte das die Verfasser der
relevanten Literatur zur Vermutung an, Matthias Steinl habe sich beim Entwurf des
Möbels vom Aussehen des früheren gotischen Gestühls der Stiftskirche inspirieren
lassen.373 Tatsächlich besitzt das Möbel Steinls etwas Flamboyantes, nicht in seinen
Ornamentmotiven und seiner Formensprache, wohl aber durch sein Gepräge. Leonore
Pühringer-Zwanowetz bezeichnete diese besondere Art, das Schnitzmesser zu führen,
als Prozess einer »Entmaterialisierung«, als Überwindung von »Plastik und Raum«,
womit sie eine spezifische Eigenart des Gestühls treffend charakterisierte. Ähnlich
unruhiger Schnitzzierrat, der sich dem Auge des Betrachters erst beim zweiten Blick
in allen seinen Einzelmotiven erschließt, kehrt an der Rückwand des Gestühls in der
früheren Chorherren-Stiftskirche zu St. Pölten von 1721/22 wieder (Farbtaf. 17).
Auch dieses Gestühl wird Steinl zugeschrieben. Pühringer-Zwanowetz sieht darin
vermutlich zu Recht ein Vorgängermodell, auf dessen Grundlage der Künstler das
Klosterneuburger Möbel entwickelte.374
Einen klareren Aufbau besitzen die Emporenbalustraden sowie das Kaiserorato-
rium und die Orgel, ein Zitat übrigens der Aufbauten über dem Alten Gestühl im
Wiener Stephansdom.375 Die geschlossenen Balustraden übernehmen nur grob die
Jocheinteilungen der Gestühlsrückwände. Der von Voluten flankierte dreiachsige
mittlere Teil tritt leicht nach vorn, Schnitzornamente sind aufgelegt. Steinl konzi-
pierte das Oratorium als allseitig geschlossene und mit einem Walmdach versehene
gläserne Attika. Breite Stützen strukturieren das Gehäuse, ein Rahmengerüst spannt
sich dazwischen auf. Blattwerk, Blütengirlanden und hölzerne Stoffdraperien zieren
den Korpus, der mit großen Voluten und dem alles überragenden Doppeladler endet.
Davor sitzen Putten mit den Kronen der Habsburger.
372 Vgl. dazu die entsprechenden Kapitel im vorliegenden Buch.
373 Zu einer wahrscheinlich zwischen 1721 und 1759 entstandenen Zeichnung des gotischen Exemplars
vgl. Pühringer-Zwanowetz, Steinl (1966), 296 und Abb. 313 ; Röhrig, Klosterneuburg (1994), 36. Das
Vorgängergestühl besaß ebenfalls Hochwangen.
374 Pühringer-Zwanowetz, ebd., 106.
375 ÖKT, Stephansdom (1931), 234, 235, Abb. 199 ; Achthundertfünfzig Jahre St. Stephan (1997),
Abb. 4.61 und 5.13 ; Gruber, Stephansdom (2011), 29.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693