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424 | Sakralbauten in Niederösterreich
häufig verwendet. Die vergoldeten Schnitzornamente fertigte man wahrscheinlich aus
Lindenholz.
Das Gestühl steht vor den Choraußenwänden unter Oratorien. Kräftige Stuckvo-
luten, die die verglasten Emporen tragen, reichen mit geschwungenen Profilen weit
nach unten und folgen dem Verlauf der Chorstallenbekrönung. In der Mitte der Stal-
lenrückwand legt sich der Stuck mit einer großen Volute, einer vergoldeten Quaste
und einem vergoldeten Akanthusblatt über das Gebälk des Gestühls. Ein Eintrag im
Baujournal von 1736 beschreibt die Situation folgendermaßen :
Der geistlich chor stüellen, in welchen etwas ausbündiges neues gesehen werden, und mehrere zierde
vonöthen, über dißes auch mit denen fenstern und ganz oratorien auswendig müeßen verbunden
sein, zu welchen stockhotor, und marmorir arbeith mit einlaufen mues, haben nach villen nachsün-
nen in die würckhliche arbeith gegrifen.484
Abt Dietmayr hatte von seinen Ausstattungskünstlern etwas Innovatives gefordert und
es erhalten. Eine derart überzeugende Verklammerung von Gestühl und Architektur
findet sich an österreichischen Gestühlen kein zweites Mal. Dies erhärtet den Ver-
dacht eines Eingriffs von Antonio Maria Niccolò Beduzzi und Giuseppe Galli Bibiena
in den allgemeinen Planungsprozess. Beim Bau von Sakristeimöbeln konnte seit der
Mitte des 17. Jahrhunderts eine Form gewählt werden, die auf die räumlichen Ge-
gebenheiten eines bestimmten Standplatzes Bezug nahm. Die Möbel waren damit
fest an ihren Standplatz gebunden und nicht mehr verrückbar.485 In Verbindung mit
Chorgestühlen und andern Möbelgattungen spielte diese Überlegung im 17. und frü-
hen 18. Jahrhundert noch keine größere Rolle.486 De facto verzichtete man auf solche
Bestrebungen auch beim Bau von Stallen, die zeitlich jenem in Melk nachfolgten. Das
Inventarstück in der Melker Stiftskirche blieb in dieser Hinsicht eine absolute Aus-
nahme.
Aufschlussreich ist eine Gegenüberstellung des Gestühls mit zwei Architektur-
studien. Die erste gibt den Längsschnitt eines anonymen Künstlers für die Melker
Stiftskirche wieder.487 Auf dem 1701 entstanden Entwurf erkennt man im Chor ein
herkömmliches Reihengestühl. Über dem Dorsale sollten Akanthusranken die Chor-
484 StAM, Baujournal 1736, fol. 3r. Vgl. auch ÖKT, Melk (1909), 214.
485 Die vielleicht frühesten österreichischen Beispiele hierfür befinden sich im Kloster Schlägl und stam-
men von 1654 (Abb. 366, 367).
486 Im profanen Möbelbau wurde die Einbeziehung des Möbels in das Wandsystem erst im Rokoko per-
fektioniert.
487 ÖKT, Melk (1909), Taf. V ; Neunhundert Jahre Benediktiner (1989), 232, 234 ; Huber/Weigl, Prand-
tauer (2010), 26–27.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693