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438 | Sakralbauten in Niederösterreich
ten nur vier Sitze Platz, vorn dagegen sechs. Erstaunlicherweise bot das Gestühl mit
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Stallen schon bei seiner Herstellung nicht genügend Sitzmöglichkeiten, denn
1715 zählte das Kloster 28, 1722 sogar 32 Konventualen.512 Tatsächlich wurde noch im
18. Jahrhundert auf beiden Seiten eine dritte Sitzreihe hinzugefügt, die man 1981 bei
der Restaurierung des Gestühls entfernte.513 In der Mitte der nördlichen Dorsalewand
befindet sich eine Tür zur Sakristei, gegenüber liegt der Zugang zur Rosenkranzkapelle.
Abgerundete Lisenen unterteilen die Brüstungen in je drei nach innen eingezogene
Rechteckfelder. Ein kräftiges Gesims schließt die Vorderwände ab. Über den Stützen ist
es nach oben geführt, um die Brüstungsoberkante in Schwingung zu versetzen. Bewegt
präsentieren sich außerdem die Docken der Sitzreihen. Nallenburgs Werkstatt versah die
vertikalen Kanten der Wangen mit geschweiften Konturen und das Abschlussgesims mit
Voluten und gebrochenen Bögen. Das barocke Spiel mit Einbuchtungen und Auswölbun-
gen, mit beleuchteten und schattigen Zonen, dem hier gehuldigt wird, steht in deutlichem
Gegensatz zum relativ statischen Aufbau vieler anderer Gestühle unseres Kunstraums.
Keilpilaster teilen die Rückwand in außergewöhnlich geformte Flächen mit ädi-
kulaähnlichen, dreipassig schließenden und leicht gebauchten Binnenfeldern, die von
Profilleisten eingefasst werden. Die mit Engelsköpfen verzierten Pilasterkapitelle tra-
gen einen tiefen Baldachin, dessen Vorderseite von einem schweren Gebälk geformt
wird. Über den Türen befinden sich hochovale Supraportfenster, in deren Gittern auf
der Epis telseite das Stiftswappen und die Jahreszahl 1722, auf der Evangelienseite das
Wappen und die Initialen I.
M.
P. des Propstes Führer (Johann Michael Praepositus) zu
erkennen sind. Eine große C-Spange fasst die obere Hälfte der Fenster ein. Der die Mö-
bel bekrönende Schnitzaufsatz ragt vor der Nordwand bis zum Fenster eines Stiegenauf-
gangs, vor der Südwand bis zu einem entsprechend gestalteten Blindfenster nach oben.
Am Dorsale zeigen ovale Reliefs Brustbilder der Apostel und der vier lateinischen
Kirchenväter, analog dazu geben Darstellungen an der Brüstung Szenen aus dem Mar-
tyrium der Jünger wieder. Nur die Reliefbilder mit den Apostelfürsten weichen von
diesem Muster ab. Sie vergegenwärtigen den auf dem See Genezareth wandelnden
Christus sowie das Martyrium des Jakobus Minor. Außerdem schmücken reiche or-
namentale Schnitzarbeiten die Chorstallen : An der Rückwand hängen Blütenzöpfe,
hinzu kommen im Türbereich Voluten und Palmettenmotive, in der Frieszone durch-
Nallenburg wurde am 03.08.1687 getauft, sein Leichnam am 27.08.1733 beigesetzt ; http://data.
matricula-online.eu/de/oesterreich/st-poelten/st-poelten-dom. Taufbuch 01/02, 1671–1716, c. 375 (=
03-Taufe_0377), Sterbebuch 03/02, 1727–1767, c. 126 (= Tod_0065) (Zugriff im Mai 2017)
512 Fasching, Auseinandersetzung (1984), 3, 24.
513 Die dritte Sitzreihe unterschied sich formal von den beiden anderen, sodass von einer nachträglichen
Herstellung ausgegangen werden konnte. Kronbichler, Chorgestühl (1982), 44. Abbildungen des Ge-
stühls mit jeweils drei Reihen in Kronbichler, ebd., 47, 48 ; Stein, Städte (1928), Taf. S. 53.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693