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440 | Sakralbauten in Niederösterreich
Es ist dies im Osten Österreichs das früheste Beispiel für ein Gestühl, das mit sei-
nem Aufbau unmittelbar auf die Wandgestaltung Bezug nimmt. Einige Jahre später
bemühte man sich auch beim Bau des Dürnsteiner Gestühls (Farbtaf. 07) um die
Umsetzung dieser Invention. Konsequenter als in St. Pölten und Dürnstein war die
Verbindung von Stallen und Mauerwerk sonst nur noch in der Melker Stiftskirche.
Das dortige Gestühl entstand um 1736 (Farbtaf. 15).
Wie oben erwähnt, echauffierten sich die Chorherren über die hohen Ausgaben des
Propstes ; weitere Kritikpunkte waren dem Umstand geschuldet, dass er Handwerks-
aufträge ohne die Zustimmung des Konvents vergab. Ein Absatz der Anklageschrift
betraf die gar zu pompose chor stülle.515 In seiner auf den 1. Mai 1722 datierten Vertei-
digungsschrift geht Führer auch auf das Gestühl ein. Zunächst wies er darauf hin, dass
das Möbel 1000 fl. gekostet habe, dann begründete er seine Ausgaben :516
Hab ich ja müssen manichen geistlichen einem lust machen, in chor zu gehen, auf das ihnen zugleich
die fruhe- und nachmittag schlaff in ansehung etwelcher vergoldung desto geschwinder und gewisser
vergehe. Vorhin hatt es gehaissen, man würd bald die fiess brechen, wan ein schwerer die wankhente
bruggen deren alten chor stüellen ehistens würd eindröthen, nunmehro aber höre ich aus 2 aufge-
blasenen bakhen das wort Pompos anstatt eines gloria Patri intonieren : ist gutt, das man 2 ohren
habe und nur ein gegen Gott gerichtes herz. Wan die Reliquien von denen alten chor stüellen wegen
hesslicher frazengesichter und veralter Wurmstich nicht zu blump und schändlich weren, hette ich
könen ein so anderes stukh zur beylag einschikhen.517
Nach Aussagen des Propstes hätte der Laufboden des alten Chorgestühls also in jedem
Falle erneuert werden müssen, um es ohne Gefahr betreten zu können. Außerdem wa-
ren die Stallen noch mit jenen frazengesichter[n] verziert, die sich an vielen Beispielen
des 17. Jahrhunderts noch heute finden und uns so apart erscheinen. Statt über das
Leben und Wirken der Heiligen zu meditieren sowie Mittel und Wege zu suchen,
ihnen nachzueifern, seien die Konventualen schlaftrunken und wenig engagiert zum
Chorgebet erschienen. Er habe sich, so das Argument des Propstes, durch die Aufstel-
lung eines neuen Gestühls und die Anbringung der Reliefs erhofft, die Chorherren zu
einer regeren Beteiligung an Gebet und Gesang zu motivieren. Ein Argument, dem
Landesfürst und Klosterrat kaum etwas entgegnen konnten.
Ausführende Künstler waren der Tischler Hippolyt Nallenburg sowie vermutlich die
Bildhauer Peter Widrin (Widerin ; um 1684–1760) und Joseph Päpel (1683–1742). Der
515 Fasching, Auseinandersetzung (1984), 10.
516 Fasching, ebd., 19. Die Verteidigungsschrift – Führer nennt sie »Beschreibung« – ist komplett wieder-
gegeben bei Fasching, ebd., 12–46.
517 Zitiert nach Fasching, ebd., 30.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693