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486 | Sakralbauten in Niederösterreich
maiori commoditate simul extarent.595 Die beiden Chöre, von denen einer einstimmig
und einer mehrstimmig sang, standen nun dicht beieinander, was die Abstimmung
zwischen ihnen vereinfachte.596 Aufhorchen lässt ein späterer Hinweis des Abtes zur
offenbar als problematisch empfundenen Akustik in der Vierung : Curavi chorum nos-
trum in templo antiquo muro circumvallari, ut vox magis includatur psallentium et exinde
faciliori modo horae decantari possint.597 Bernhard ließ den Chor demnach mit einer
Mauer einfassen, um die Stimmen der Sänger »einzuschließen« und zu verstärken.598
Dürfen wir daraus folgern, dass das alte Gestühl, ähnlich dem eingangs beschriebenen
in der Domkirche zu Ratzeburg, nur über eine niedrige, bis zu den Schulterringen
reichende Rückenlehne verfügte ? Oder war die Rückwand mannshoch wie beispiels-
weise das Dorsale des Chorgestühles in San Miniato al Monte zu Florenz ?599 Die
Pläne geben auf diese Frage leider keine Antwort.
Wie berichtet, waren für die Umbaumaßnahmen in der Kirche zunächst Matthias
Steinl, später Joseph Munggenast verantwortlich. Vieles in der Zwettler Stiftskirche
entstand erst unter Munggenasts Leitung. Könnte ihm also auch der Entwurf des
Chorgestühls zugeschrieben werden ?
Formal fällt an dem Ausstattungsstück die Verwendung kräftiger Rollvoluten an
der Stelle von Kapitellen auf, eine Lösung, die in dieser markanten Form an zeitge-
nössischen Chorgestühlen im Osten Österreichs sonst nicht zu beobachten ist. Häufig
kommt das Motiv dagegen an Werken Steinls vor, zum Beispiel an der Westfassade der
Zwettler Stiftskirche, die Munggenast nach überarbeiteten Entwürfen seines Vorgän-
gers erbaute.600 Auch in der Kirche selbst finden sich ähnlich massive Voluten als Stüt-
zen von Kanzel und Orgel sowie am einige Jahre späteren Hauptaltar. Die Fachliteratur
hält es für denkbar, dass mit der Gestaltung des Chorraums posthum noch ein Innen-
raumkonzept Steinls realisiert wurde.601 Gegen ihn als Inventor des Gestühls spricht
jedoch ein Vergleich der Zwettler Chorstallen mit den Gestühlen in Klosterneuburg
und St.
Pölten (Farbtaf.
12, 17) ; jenes stammt sicher von dem Künstler, dieses wird ihm
zugeschrieben. Die stilistischen Unterschiede zwischen den Möbeln sind definitiv zu
groß, als dass auch das Zwettler Gestühl direkt mit Steinl in Verbindung zu bringen
595 Der Eintrag im Tagebuch des Abtes trägt das Datum vom 1. Mai 1672. ÖKT, ebd., 282.
596 Einleitend zur musica choralis und musica figuralis TRE, Bd. 8 (1981), 5.
597 Zitiert nach ÖKT, Zwettl (1940), 283. Der Eintrag datiert vom 22. September 1675.
598 Anschauliche, wenn auch frühere Beispiele hierfür bieten die Gestühle in den Domkirchen zu Naum-
burg und Meißen. Schmelzer, Lettner (2004), Abb. 85, 88.
599 Hohe Rückwände wurden erst im 13.
Jahrhundert allgemein üblich. Vgl. hierzu das einleitende Kapitel
zur Entwicklung der Kirchenmöbel.
600 ÖKT, Zwettl (1940), Abb. 70.
601 Kubes/Rössl, Zwettl (1979), 88.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume I: Östliche Landsteile
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- I: Östliche Landsteile
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 730
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693