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1.2 Künstlerauto/biographie | 55
musste. Dies liegt wohl einerseits an der Exilierung der Autoren,69 aber auch daran,
dass eine breitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle des Künst-
lers/der Künstlerin generell erst in jüngster Zeit wahrzunehmen ist.70 Im Sinne eines
kulturwissenschaftlichen Zugangs widmen sich neuere Werke heute vor allem der
Performativität von Künstlerbildern, aber auch Fragen nach der Geistes- und Ideen-
geschichte von Kreativität und Schöpfertum.71
Den Nimbus des Besonderen und die daraus resultierende Rolle von KünstlerIn-
nen in der Gesellschaft machten schon Kris und Ernst zum Ausgangspunkt ihrer
Analysen:
„[…] daß es ein Rätsel des Künstlers gäbe, daß besondere und noch wenige Fähigkeiten
und Veranlagungen erforderlich seien, um das Kunstwerk zu schaffen, und daß die Ge-
meinschaft in gewissen Zeiten und Gegenden dem Schöpfer des Kunstwerks einen beson-
deren, noch ungenau bestimmten Platz einzuräumen bereit ist.“72
69 Ernst Kris (1900–1957), geboren in Wien, emigrierte 1938 nach London und 1940 weiter in die
USA. Otto Kurz (1908–1975) emigrierte 1934 nach England. Sein Mentor Kris hatte ihm aufgrund
der bereits zu diesem Zeitpunkt fehlenden Perspektiven für WissenschafterInnen jüdischer Her-
kunft an österreichischen Universitäten dazu geraten. Vgl. Hans R. Aurenhammer, Zäsur oder
Kontinuität? Das Wiener Kunsthistorische Institut im Ständestaat und im Nationalsozialismus, in:
Bundesdenkmalamt Wien/Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien (Hg.), Wiener Schule,
11–54, 19. Vgl. auch https://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/o_kurz.html (2.9.2019).
70 Paradigmatisch dafür der Titel einer Konferenz aus dem Jahr 2010: „Die Wiederkehr des Künst-
lers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/innenforschung“, Internationales Symposium
4.–6.3.2010, Universität für angewandte Kunst Wien. Vgl. die gleichnamige Tagungspublikation:
Sabine Fastert/Alexis Joachimides/Verena Krieger (Hg.), Die Wiederkehr des Künstlers. Themen
und Positionen der aktuellen Künstler/innenforschung, Köln, Weimar, Wien 2011. Nur wenige
Monate später fand die Konferenz „Die Biographie. Mode und Universalie“ statt (9.–11.12.2010,
Universität Basel), in der ebenfalls ein Fokus auf die Künstlerauto/biographie gelegt wurde. Vgl.
den Tagungsband: Beate Böckem/Olaf Peters/Barbara Schellewald, Barbara (Hg.), Die Biographie
– Mode oder Universalie? Zu Geschichte und Konzept einer Gattung in der Kunstgeschichte, Ber-
lin 2015.
71 Neben den bereits genannten Konferenzen und Publikationen vgl. für den deutschsprachigen
Raum zentral: Verena Krieger, Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler. Eine
Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen, Köln 2007; Martin Hellmold/Sabine Kampmann/
Ralph Lindner/Katharina Sykora (Hg.), Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst,
München 2003; Unseld/ Zimmermann (Hg.), Anekdote – Biographie – Kanon; Nicole L. Immler
(Hg.), „The making of …“ Genie: Wittgenstein & Mozart. Biographien, ihre Mythen und wem sie
nützen, Innsbruck 2009. Jüngst auch: Wolfgang Ruppert, Künstler! Kreativität zwischen Mythos,
Habitus und Profession, Wien, Köln, Weimar 2018.
72 Kris/Kurz, Die Legende vom Künstler, 21.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463