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zahlreiche Vorbilder hatte, von deren narrativer Form er geprägt war. So verweist
bereits der Titel seiner Autobiographie „Aus meinem Leben“ auf das prominenteste
Vorbild, die gleichnamige Autobiographie von Johann Wolfgang von Goethe.
Alfred Kubin verfasste und veröffentlichte seine Autobiographie in mehreren,
zeitlich jeweils mehrere Jahre auseinander liegenden Etappen. Die so stets anwach-
sende Selbstbiographie erschien als Beilage beziehungsweise Ergänzung zu unter-
schiedlichen Publikationen des Künstlers. Aus mehrfachen Äußerungen Kubins
geht hervor, dass es sein Wunsch war, die einzeln erschienenen autobiographischen
Texte einmal in einer Publikation zusammenzuführen.13 Dies geschah allerdings erst
posthum: Der 1974 von Ulrich Riemerschmidt herausgegebene Band „Aus meinem
Leben“ fasste die einzelnen Teile der Autobiographie zusammen und veröffentlichte
zudem weitere autobiographische Skizzen und Texte des Künstlers. Der Band fun-
giert seither in der Kubin-Forschung gewissermaßen als kanonisierte Fassung der
Selbstbiographie.14 Die komplexe Entstehungsgeschichte von Kubins Autobiogra-
phie lässt es sinnvoll erscheinen, im Folgenden nicht nur eine Inhaltsanalyse des
Texts vorzunehmen, sondern diesen auch editionskritisch aufzuarbeiten.
Erste Fassung (1911): Die Kapitel I und II
Der erste Teil der Autobiographie erschien 1911 als Beilage zur Sansara-Mappe.15 Die
Sansara-Mappe war Kubins zweite bedeutende Veröffentlichung und beinhaltete ne-
ben der „Lebensbeschreibung“ Reproduktionen von 40 Zeichnungen des Künstlers.
Die im Münchner Georg-Müller-Verlag erschienene Publikation erweiterte Kubins
Bekanntheit als Künstler wesentlich. Vor den Graphik-Tafeln der Mappe findet sich
die von Kubin verfasste „Lebensbeschreibung als Einleitung“ im Umfang von über
13 Vgl. zum Beispiel die Äußerung im Briefwechsel mit Reinhard Piper: „Ich bitte nur dass die 5
Zeichnungen nicht verloren gehen denn späterhin einmal möchte ich doch alle meine kleinen
biographischen etc. Erzählungen und Aufsätze in einem Bande vereinigen, mitsamt den Zeich-
nungen.“ AK an Reinhard Piper, April 1930, zit. nach Alfred Kubin/Reinhard Piper, Briefwechsel
1907–1953. Hg. von Marcel Illetschko/Michaela Hirsch, München 2010, 286 f.
14 Alfred Kubin, Aus meinem Leben. Gesammelte Prosa mit 73 Abbildungen. Hg. von Ulrich Rie-
merschmidt, München 1974. Bereits zwei Jahre zuvor hatte Wolfgang Müller-Thalheim im Band
„Erotik und Dämonie im Werk Alfred Kubins“ erstmals alle bestehenden Teile von „Aus meinem
Leben“ publiziert: Wolfgang K. Müller-Thalheim, Erotik und Dämonie im Werk Alfred Kubins.
Eine psychopathologische Studie, München 1970. Müller-Thalheim setzte damit die Tradition fort,
in Werken von oder über Kubin zusätzlich die Selbstbiographie des Künstlers abzudrucken. Rie-
merschmidts Edition von 1974 hingegen ist die erste Publikation, in der ausschließlich die Auto-
biographie publiziert ist.
15 Alfred Kubin, Sansara. Ein Cyklus ohne Ende, München, Leipzig o.J. [1911].
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463