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2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ | 107
Die Bedeutung von Künstlermonographien war Kokoschka somit vollkommen
klar und er versuchte in verschiedenen Lebensphasen aktiv BiographInnen zu fin-
den und diese auch dahingehend zu beeinflussen, das von ihm vorgegebene au-
tobiographisches Narrativ umzusetzen. Wie massiv die Beeinflussung war, darauf
verweist eindrucksvoll die jüngere Kokoschka-Forschung, zu nennen ist in diesem
Zusammenhang vor allem Régine Bonnefoit, die dies anhand der von Edith Hoff-
mann 1947 publizierten Kokoschka-Monographie eindrucksvoll belegen konnte.85
Nachdem sich Kokoschka am Kontinent vor Beginn des Zweiten Weltkriegs einen
renommierten Namen als Künstler erwerben konnte, war er in Großbritannien, wo-
hin er 1939 emigriert war, anfangs weniger bekannt. Kokoschka regte daher an, dass
die ihm aus Dresden und Wien bekannte und ebenfalls nach Großbritannien emig-
rierte junge Kunsthistorikerin Edith Hoffmann eine Biographie über ihn verfassen
sollte.
„Über mich ist schon seit 10 Jahren kein Buch mehr herausgegeben [worden], dabei werde
ich doch täglich in Zeitungen genannt, oft in Amerika, wo ich eben einen Preis erhielt.“ 86
Edith Hoffmann übernahm das Projekt, die Biographie bzw. Künstlermonographie
erschien 1947 unter dem Titel „Life and Work“.87 Sowohl der von Régine Bonnefoit
analysierte Briefwechsel zwischen Kokoschka und Hoffmann wie auch die erhalte-
nen Korrekturen zum Manuskript zeigen die massive Einflussnahme Kokoschkas,
der jegliche Abweichung zu dem von ihm gewünschten Narrativ einklagte und einer
Korrektur zuführte.88 Der Ton, den er dabei gegenüber der Biographin anschlug,
war von einer großen Überheblichkeit getragen, durchsetzt mit Beleidigungen und
Geringschätzungen von Hoffmanns Persönlichkeit und Expertise. Die „Einflussrie-
chereien“ der Kunsthistorikerin standen im Gegensatz zu dem Kokoschka so wichtig
erscheinenden Bild des Künstlers, der seine Inspiration nicht durch andere künst-
lerische Arbeiten, sondern ausschließlich aus sich selbst beziehe. So lautet eine An-
merkung Kokoschkas zu Hoffmanns Manuskript:
85 Vgl. Régine Bonnefoit, Kunsthistoriker vom Künstler zensiert – am Beispiel der Kokoschka-Mo-
nographie von Edith Hoffmann (1947), in: Beate Böckem/Olaf Peters/Barbara Schellewald (Hg.),
Die Biographie – Mode oder Universalie? Zu Geschichte und Konzept einer Gattung in der Kunst-
geschichte, Berlin 2015, 169–182.
86 OK an Edith Hoffmann, [Mährisch-Ostrau] 24.11.1937, zit. nach Oskar Kokoschka, Briefe III.
1934–1953. Hg. von Olda Kokoschka/Heinz Spielmann, Düsseldorf 1986, 59.
87 Edith Hoffmann, Kokoschka. Life and Work, London 1947.
88 Zentralbibliothek Zürich (ZBZ), Nachlass O.
Kokoschka, Karton 632 (Edith Hoffmann-Yapou, Os-
kar Kokoschkas Korrekturen für die Publikation von Edith Hoffmann-Yapou „Oskar Kokoschka:
Life and Work“); Bonnefoit, Kunsthistoriker vom Künstler zensiert.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463