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Form des Buches ist auf den Entstehungskontext zurückzuführen, dem es hier etwas
ausführlicher nachzugehen gilt. Denn mitnichten ist „Mein Leben“ eine Autobiogra-
phie, die von ihrem Verfasser in „klassischer“ Autobiographiemanier, also rückbli-
ckend reflektierend, möglichst in einem Guss und von einem bestimmten Zeitpunkt
aus betrachtet, niedergeschrieben wurde. In der Vorbemerkung zu „Mein Leben“
schrieb Kokoschka:
„Mein Dank gebührt Herrn Remigius Netzer, der das Buch anregte, das Material fand,
durch lange Gespräche geistig an der Entstehung mithalf und dem Buch die Form gab.“96
Mehr lässt sich aus dem Buch selbst nicht über die Rolle von Remigius Netzer erfah-
ren. Ein genaueres Bild von dessen Rolle und Funktion im Entstehungskontext der
Autobiographie gibt ein Protokoll einer Mitteilung von Olda Kokoschka:
„Der Bruckmann-Verlag in München sandte Remigius Netzer nach Villeneuve, wo im
Dez. 1969 und im Jan. 1970 Tonaufnahmen seiner Gespräche mit OK über dessen Le-
ben entstanden. Als die danach angefertigten Typoskripte bei OK eintrafen, fand er sie
unmöglich, machte sich Notizen und diktierte danach seiner Frau Olda in die Schreibma-
schine. Er zerriß diese Notizen Blatt für Blatt, nachdem er davon diktiert hatte. Als Frau
Olda dies merkte, rettete sie so viele Blätter wie möglich. Dr. Stiebner vom Bruckmann-
Verlag war am 22.5.1970 und am 16.7.1971 in Villeneuve, das Erscheinen von Mein Leben
wurde in München 12.–15.9.1971 gefeiert. […]“97
Die Autobiographie „Mein Leben“ basiert somit auf Interviewgesprächen mit Remi-
gius Netzer, die dieser in einem Typoskript schriftlich festhielt. Dieser Text wurde
von Oskar (und Olda) Kokoschka weiteren Überarbeitungen und editorischen
Eingriffen unterzogen, wobei auch bereits früher veröffentlichte auto/biographi-
sche Erzählungen eingefügt wurden. Die Vorgangsweise, sie kann auf Basis der im
Kokoschka-Nachlass erhaltenen Typo- und Manuskripte rekonstruiert werden,98 ist
damit der Erstellung der Kokoschka-Monographie von Edith Hoffmann, die ja auch
auf Gesprächen mit dem Künstler basierte, gar nicht so unähnlich. Die Rahmenbe-
dingungen rund um Autorenschaft und Deutungshoheit waren in diesem Projekt
aber offensichtlich von Beginn an klarer definiert.
96 Kokoschka, Mein Leben, 6.
97 ZBZ, NL O. Kokoschka, „Mitteilung von Frau Dr. Olda Kokoschka vom 11. November 1998 an
Hermann Köstler zur Entstehung von Mein Leben.“ Für den Hinweis auf dieses Dokument danke
ich Régine Bonnefoit!
98 ZBZ, NL F. Witz, Karton 81. (Oskar Kokoschka, Mein Leben. Typoskripte/Typoskriptteile)
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463