Page - 125 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Image of the Page - 125 -
Text of the Page - 125 -
2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ | 125
Auf Kokoschkas autobiographisches Narrativ hinsichtlich seiner Teilnahme
am Ersten Weltkrieg wird an späterer Stelle dieser Studie noch ausführlich
eingegangen,145 hier daher nur eine kurze Darstellung des weiteren Verlaufs des Ka-
pitels, das speziell in der publizierten Fassung in weiten Teilen eher in Form einer
allgemeinhistorischen Darstellung des Ersten Weltkriegs denn als persönliche Erin-
nerung angelegt ist. Erst nach mehreren Seiten über allgemein historische Einord-
nungen leitete Kokoschka über zu seiner eigenen Verwicklung in diesen Krieg:
„Mir war es also ähnlich ergangen wie vielen wehrpflichtigen Männern, die entweder das
richtige Mädchen nicht gefunden hatten oder des Alltags überdrüssig geworden waren,
die in einer umstürzenden Veränderung der Umwelt, wie es ein Krieg bedeutet, versuch-
ten, ein neues Verhältnis zum Leben zu gewinnen – sei es zum Besseren oder auch zum
Schlechteren.“146
Indirekt kam damit die unglückliche Liebesbeziehung zu Alma Mahler als Motiv
für seine Meldung als Kriegsfreiwilliger147 ins Spiel, andererseits hieß es aber auch
gleich darauf:
„Da ich wehrpflichtig war, war es angezeigt, daß ich mich als Kriegsfreiwilliger meldete,
bevor ich gezwungen wurde, mitzutun.“148
Nach Kokoschkas Aussage war es Adolf Loos, der sich um seine Meldung kümmerte
und dafür sorgte, dass Kokoschka in der im Vergleich zur Infanterie besser gestellten
Kavallerie dienen konnte. Kokoschka verkaufte das Dokument seiner Liebe zu Alma
Mahler, das Bild „Die Windsbraut“, und kaufte sich um den Erlös ein Pferd und eine
standesgemäße Ausrüstung. Über die mangelhafte Ausrüstung der k. u. k. Armee
schrieb Kokoschka treffend, wobei nicht klar ist, ob dies bereits seiner damaligen
Wahrnehmung entsprach oder von späterem Wissen beeinflusst war:
145 Vgl. Kapitel 4.2.2.
146 Kokoschka, Mein Leben, 139.
147 Die Meldung als „Freiwillige“ war für höhere soziale Stände bestimmt, Voraussetzung war ein hö-
herer Schulabschluss. Sie ermöglichte das Regiment selbst auswählen zu können.
148 Kokoschka, Mein Leben, 139. Auch an späterer Stelle verweisen einzelne Passagen auf die Verbin-
dung seiner Kriegsmeldung und der unglücklichen Beziehung zu Alma Mahler, vgl. z.B.: „In den
Weltkrieg war ich wegen einer Liebesaffäre geraten – ehrlich gesagt war es eine Flucht aus einer
aussichtslos erscheinenden Situation.“ Vgl. ebd., 162. Oder „Die Uniform war meine neue Haut,
unter welcher meine seelischen Narben verdeckt für andere nicht zu sehen waren. Denn kaum
hatte ich mich von der Trennung von Alma Mahler erholt, gab es nicht gleich wieder eine Dame,
deren Verlangen Befehl für mich werden sollte!“ Vgl. ebd., 168.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463