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2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ | 131
anzufertigen. Das weltbekannt gewordene Bild war die Reaktion auf die Diffamie-
rung seines Werks bei der im Sommer 1937 in München stattfindenden Ausstellung
„Entartete Kunst“. Direkt anschließend folgt die Erzählung von der Überlegung in
die USA zu gehen:
„Aber dann dachte ich wiederum an meine Schwester in Prag und meinen Bruder in
Wien, und schließlich fühlte ich: Amerika ist zu weit von Wien und Prag. Ich habe nie
Lust gehabt, ein Emigrant zu werden, war von Jugend an gewöhnt, wegzugehen, wo es
mir nicht mehr gefiel und dorthin zu gehen, wo ich leben konnte. Das Problem war nur,
wohin?“171
Oskar und Olda Kokoschka entschieden sich für England, die bürokratische Ab-
wicklung, das Anstellen um Flugtickets besorgte Olda, die Einreise klappte – laut
Kokoschka möglicherweise dank einer Intervention des Völkerbunddiplomaten
Lord Cecil – problemlos.
Es folgt das Kapitel „Jahre in England“. Kokoschka leitete ein mit den ersten
persönlichen Kontakten und Begegnungen, wie mit dem Direktor der Londoner
Tate Gallery. Er habe sich „verhältnismäßig bald erhalten“ können, so Kokoschka
rückblickend, trotz zunächst geringer Bekanntheit. Die damit zusammenhängende
Selbsteinschätzung wirkt recht selbstbewusst:
„[…] denn ich war in England noch ziemlich unbekannt, obwohl ich bereits über fünfzig
Jahre alt und sozusagen einen Weltnamen hatte, bevor ich als entarteter Künstler ange-
prangert worden war.“172
Wegen der Meeresluft und „auch weil es dort billiger war“, zogen Oskar Kokoschka
und Olda von London weg an die Südküste Englands, nach Polperro. Kokoschka
erinnert weiters, dass er zum Ehrenpräsident des linksgerichteten von Emigranten
gegründeten „Freien Deutschen Kulturbundes“ gewählt wurde. Er berichtete davon
in Zusammenhang mit einem bestimmten Erlebnis, wobei er sich – dezidiert in der
Autobiographie angeführt – auf eine Erzählung von Olda Kokoschka stützte. Es ging
darum, dass er im Namen des Kulturbundes den aus Wien stammenden Verleger
Walter Neurath in London aufsuchte:
171 Kokoschka, Mein Leben, 239.
172 Kokoschka, Mein Leben, 244.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463