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2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden | 145
ist vergangen und vergessen. Gott sei Dank. Meine Arbeiten von damals sind mir heute
unverdaulich. Es ist schade, dass Bilder nicht kaputt gehen wie Schuhe, die man trägt.“210
In diesem kurzen Abschnitt ist zwar viel an Information untergebracht, der ver-
wendete knappe Sprachstil betont aber die Distanz, die er zu dieser Lebensphase
mittlerweile eingenommen hatte. Interessant ist die in Zusammenhang mit dem An-
throposophen Rudolf Steiner verwendete Formulierung „Rückfindung zur Mystik“.
Mit „Rückfindung“ ist wohl impliziert, dass er nach einem langen Irrweg zu dem
zurückgefunden hat, was er als natürliche Begabung seiner Kindheit bereits anfangs
beschrieben hatte. Wachs intensive Beschäftigung mit Mystik und Okkultismus, die
Anfang der 1920er einsetzte, wurde von ihm somit nicht als neuer Weg, sondern als
„Rückkehr“, vielleicht auch als „Heimkehr“ dargestellt.
Im folgenden Abschnitt widmete sich Wach – wieder eher kurz – seinem politi-
schen Engagement in der Münchner Räterepublik 1918.211 Über seine Motive und
seine eigentliche Tätigkeit erfahren wir dabei nichts, lediglich, dass es Egon Wert-
heimer212 war, der ihn mit der Bewegung in Kontakt brachte.
„Durch Egon Wertheimer aus Ranshofen, den ich im letzten Kriegsjahr in Wien, während
meiner Kommandierung kennen lernte, durch Karl Schossleitner (vom Kriegspressequar-
tier) – kam ich nach dem Krieg (in München) in Fühlung mit den Leuten der sozialen
Revolution. E. W. war bei seinem Professor (der Universität) Privatsekretär geworden;
sein Professor war Finanzminister unter Eisner. So kam ich eigentlich durch ihn in das
Fahrwasser, das mich aus München fliehen ließ nachher. […] Nach der Flucht aus Mün-
chen Monate in Lambach daheim. Freund Ebner aus Tirol, ein tüchtiger Maler, ehemali-
ger Offizier der Kaiserjäger, warnte mich brieflich vor der Rückkehr nach München. Die
weiße Garde forsche nach mir. Trotzdem kamen wir für einige Tage nach München, um
zu packen und zu übersiedeln, über Burghausen nach Ach-Überaggern. […] In dieser Zeit
hatte ich in Frankfurt am Main, bei Kunstsalon Goldschmidt, eine größere kubistische
Ausstellung. Durch freundschaftliche Bemühungen des jüd. Dichters Alfred Wolfenstein
setzte ich zu guten Preisen viel ab, Bilder und Aquarelle. Sodass wir Mittel hatten und uns
in Österreichs Einöde einrichten konnten.“213
210 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931, Eintrag 31.7.1929.
211 Vgl. dazu ausführlich im Kapitel 4.3.2.
212 Egon Ranshofen-Wertheimer (1894–1957), Rechts- und Staatswissenschafter, Publizist und Dip-
lomat. Wertheimer wuchs auf dem seiner Familie gehörigen Gut Ranshofen bei Braunau am Inn
auf, engagierte sich im linksgerichteten politischen Milieu der Zwischenkriegszeit und emigrierte
1940 in die USA. Vgl. u.a. Tamara Rachbauer/Manfred Rachbauer, Ranshofen – Geschichte(n) auf
Schritt und Tritt, Norderstedt 2012.
213 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 1.8.1929.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463