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2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen | 165
mehr in ihrem Werk. 1942 antwortete sie beispielsweise auf eine Anfrage bezüglich
ihres Lebenslaufs wie folgt:
„Über meinen sonstigen Lebenslauf vermag ich nichts zu sagen, da ich ja meine Sprache in
den Bildern habe – warum sollen sie nicht ein reines Echo finden?“258
Bilgers autobiographische Selbstrepräsentation muss somit aus verschiedenen
Selbstzeugnissen – und nicht zuletzt aus dem Werk – zusammengesetzt werden.259
Aber nicht immer konnte sie Anfragen nach ihrem Lebenslauf – wie oben – entkom-
men, und so liegen doch zumindest einige wenige kurze Lebensläufe (im Sinne eines
Curriculum vitae) vor. Ein erstes solches Curriculum vitae verfasste Bilger 1930 im
Zuge einer Bewerbung als Erzieherin an einem staatlichen Erziehungsheim im stei-
rischen Hirtenberg.260 14 Jahre später, 1944, sollte sie anlässlich einer Ausstellung im
Oberösterreichischen Landesmuseum Linz261 ihren „Entwicklungsgang“ schil-
dern.262 Beide Darstellungen erweisen sich in Stil und Inhalt ungewöhnlich und
weisen einen hohen Grad an Eigenständigkeit auf. Sie sind weniger auf die äuße-
ren Stationen des bisherigen Lebens ausgerichtet, vielmehr berichten sie in einer
für solche Texte ungewöhnlichen Offenheit von der inneren Entwicklung, auch von
Schwierigkeiten und Misserfolgen. War der erste Text eine Notwendigkeit im Zuge
der Bewerbung für eine Stelle, wurde der Lebensbericht von 1944 aus Anlass einer
Ausstellung und nach Aufforderung verfasst.263 Auch der im Folgenden näher analy-
258 Neue Galerie Graz, Archiv, Bestand Eisenhut-Archiv, MB an Hans Riehl (Leiter Neue Galerie
Graz), 6.3.42 (Kopie).
259 Den größten Fundus an autobiographischem Material bilden die Briefe der Künstlerin, aufbewahrt
im Bilger-Archiv in Taufkirchen/Pram. Teile ihres Briefwechsels sind auch veröffentlicht, vgl. u.a.:
Melchior Frommel, Margret Bilger – eine biographische Dokumentation, in: Otto Wutzel (Hg.),
Margret Bilger, 3 – 24; Melchior Frommel/Franz Xaver Hofer (Hg.), Margret Bilger – Alfred Kubin.
Briefwechsel, Schärding 1997; Petra-Maria Dallinger (Hg.), „Jetzt wo du wieder weg fährst, weiß
ich erst wie ich ganz allein bin“. Briefwechsel zwischen Margret Bilger und Elisabeth Karlinsky, Linz
2006.
260 Bilger-Archiv, Selbstdarstellung zum Anstellungsgesuch beim Landesjugendamt als Beilage in ei-
nem Brief von MB an ihre Eltern, Oktober 1930.
261 1944 zeigte das Oberösterreichische Landesmuseum im April eine Ausstellung von drei Künstle-
rinnen aus „Oberdonau“: Margret Bilger, Vilma Eckl und Margarete Pausinger Vgl. Michaela Nagl,
Bildende Kunst in Oberdonau, in: Birgit Kirchmayr (Hg.), „Kulturhauptstadt des Führers“. Kunst
und Nationalsozialismus in Linz und Oberösterreich, Linz, Weitra 2008, 79–114, 105
ff.
262 Margret Bilger, Mein Entwicklungsgang, in: Kulturnachrichten des Gauleiters und Reichsstatthalters
in Oberdonau, Nr. 19, 11.5.1944.
263 Der Text dürfte von Justus Schmidt angeregt worden sein, dem Leiter der Kunstgeschichtlichen
Abteilung des Oberösterreichischen Landesmuseums, der auch die oben genannte Ausstellung
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463