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| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche
Diskurse272
Ungelöste der menschlichen Existenz künstlerisch zum Ausdruck zu bringen.“285
Ein zentrales Motiv zur Erklärung der Anziehungskraft von esoterisch-spirituellen
Strömungen für die Kunst der Moderne lässt sich über den Begriff des Unsichtbaren
finden. Die KünstlerInnen der Moderne suchten nach der Darstellung des Nicht-
Sichtbaren, für die von der Wissenschaft neu hinterfragten oder gänzlich aufgelös-
ten Kategorien von Raum und Zeit mussten künstlerisch neue Darstellungsformen
gefunden werden. Der Wunsch, dem Wesen auf den Grund zu gehen und der An-
spruch, die neuen Fragen der Zeit künstlerisch umzusetzen, begründen die Attrak-
tivität esoterischer Bewegungen speziell für Kunstschaffende.
Die Begriffe Esoterik und Okkultismus verlangen nach einer Definition. Eine
solche ist allerdings nicht so leicht und eindeutig zu geben, schon gar nicht wenn
man zeitliche Bedeutungsverschiebungen mitreflektiert. Der heute gängigere Be-
griff der Esoterik umfasst(e) und meint(e) vieles. Seine eigentliche Wortbedeutung,
vom griechischen esōterikós (ἐσωτερικός) kommend, führt zum bereits genannten
„Nicht-Sichtbaren“, nämlich zum „Innerlichen“. In der aktuellen Definition des
Brockhaus wird Esoterik wie folgt definiert: „Esoterik [zu griechisch esōterikós
‚innen‘, ‚innerlich‘] die, gegenwärtig in doppeltem Sinn gebrauchter Begriff: 1. als
Sammelbezeichnung für okkulte Praktiken, Lehren und Weltanschauungsgemein-
schaften (Okkultismus), 2. für ‚innere Wege‘, bestimmte spirituelle Erfahrungen zu
erlangen, die von einer bloß ‚äußeren‘ Befolgung von Dogmen und Vorschriften zu
unterscheiden sind. Wenn diese allerdings selbst auf Geheimlehren und okkulte
Praktiken zurückgreifen, liegt wieder die erste Bedeutungsvariante vor.“286
Die Brockhaus-Definition verweist bereits auf die teils synonyme Verwendung
mit dem Begriff des Okkultismus, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
stärkere Verwendung für jene Phänomene fand, die wir heute unter dem Begriff der
Esoterik fassen würden. Ich werde daher im Folgenden vor allem den Begriff Ok-
kultismus verwenden, der seine Herkunft aus dem lateinischen occultus für geheim,
verborgen bezieht und laut gegenwärtiger Brockhaus-Definition als „zusammenfas-
sende Bezeichnung für weltanschauliche Richtungen und Praktiken, die beanspru-
chen, das Wissen von und den Umgang mit den unsichtbaren, geheimnisvollen und
von der Wissenschaft noch unerforschten Seiten der Natur und des menschlichen
285 Monika Wohlrab-Sahr, Entwicklungstendenzen des Okkulten. Wiederkehr des Verdrängten oder
funktionale Differenzierung?, in: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag 21 (2013)
3, 456–463, 460.
286 Brockhaus Wissensservice, Stichwort Esoterik, abrufbar unter https://brockhaus.de/ecs/enzy/ar-
ticle/esoterik (2.9.2019).
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463