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| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche
Diskurse306
mehr menschlich angerührt zu haben, er fühlte, dass sie für das Unternehmen Au-
rolzmünster missbraucht wurde.
„Aufdämmert die Einsicht, daß die Einflußnahme wollender Gewalt auf vermutbare Ge-
sichte dieser Frau – nicht zuträglich ist; es sogar ein Unrecht sondergleichen wäre – den
gigantischen Traum von Aurolzmünster inklusive Urkraft und Atlantis auf eine Frau die-
ser Prägart aufzubauen: diese Einsicht taucht aus dem Innern auf im Anblick dieser Frau,
die sicher ohne Arg und Bewußtsein ist von dem babylonischen Turm aus krankhaftem
Gestaltungstrieb, den Carl Schappeller (seinerzeit vielleicht ein naturbegabter Physiker)
aufgebaut hat.“396
In den letzten Kapiteln des Buches steht Schappellers „Demaskierung“ im Mittel-
punkt, Wach führte die am meisten Geschädigten an, beschrieb mehrere konkrete,
absurd anmutende Szenen der Grabungen und widmete sich abschließend noch-
mals seiner Hauptthese, in der er die Schappeller-Geschichte mit Schin und der
Zahl 22 verknüpfte und der darin verborgenen Gefahr die positive Kraft eines Jesus
Christus gegenüberstellte.
„Das Kreuz Jesu von Nazareth ist Lösung vom Stoff, Transsubstantiation, Freiwerden von
der Gravitation: Entstofflichung. Das Kreuz von Aurolzmünster ist das gegenteilige Prin-
zip, zentrisch, egozentrisch. [...] Schin steht gegen das heilige Thau!“397
Der letzte Satz wurde zum Jahreswechsel 1932/33 niedergeschrieben, und der Zeit-
punkt der Niederschrift hatte natürlich ebenfalls wieder höchste symbolische Be-
deutung:
„Alpha – Omega – Das Erste. Das Letzte. [...] Der Buchstabe Schin ist überwunden. Die
Zeit ist über 22 Uhr hinweggegangen. Neujahr ist vorüber, das Jahr 1933 hat begonnen!“398
Wie verschiedene im Nachlass des Künstlers aufgefundene Briefe zeigen, war für
Wach das Kapitel Schappeller auch nach der Veröffentlichung dieses Buchs nicht
abgeschlossen. Einerseits ging es immer noch um die rechtliche Dimension als
Gläubiger, der sein Geld zurückwollte,399 und andererseits wollte er das Schappeller-
396 Wach, Schin, der Herr der Zahl 22, 98.
397 Wach, Schin, der Herr der Zahl 22, 109.
398 Wach, Schin, der Herr der Zahl 22, 113.
399 Vgl. z.B. einen Brief, den Wach im November 1932 an Reinhold Glaser vom Salzburger Bergland-
Verlag schrieb, in dem er mit Empörung von einem Gerücht berichtete, wonach der Hauptgläu-
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463