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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus324
Neben der Aufregung um die Musterungen und Schreckensmeldungen, die Ku-
bin den Krieg in sein unmittelbares Umfeld brachten (so vor allem der Tod von
Künstlerkollege Franz Marc 1915 und die Angst um den eingezogenen Stiefsohn
Otto Gründler), war es nicht zuletzt die Sorge um das „alte Österreich“, die Kubin in
jenen Jahren bewegte. Wenn er sich auch als politisch desinteressiert und unwissend
bezeichnete, so war Kubin wohl bewusst, dass der Krieg über das Schicksal der Mon-
archie Österreich-Ungarn entscheiden würde. Und mit dieser Monarchie – so zeigen
es viele Äußerungen – fühlte er sich tief verbunden. Als 1877 Geborener wuchs er
in der alten Ordnung der Habsburgermonarchie auf, sein Vater war ein ehemaliger
k. u. k. Offizier und Beamter („mein Vater dieser alte k. u. k. Haudegen“).39 Immer
wieder betonte Kubin nach 1918, wie sehr er die Welt der k.
u.
k. Monarchie als seine
ursprüngliche Heimat betrachte. Als Fortschrittsskeptiker sah er in der Vergangen-
heit ein Idyll der Ruhe, dem er – wenn auch oft in ironisierter Weise – nachtrauerte.
Das Lesen „altösterreichischer“ Werke sollte helfen:
„Ich las jetzt einige altösterreichische Werke die mir ja so liegen – (I. ‚Als Venedig noch ös-
terreichisch war‘, – II. Memoiren des Admirals Dalerup)40 Ach überhaupt mein Jahrhun-
dert geht von 1770–1870, ist also leider 7 Jahre vor meiner Geburt zu Ende gegangen.“41
So trauerte er schon 1914 um das „alte“ Österreich. Dass dieses bald starken Ver-
änderungen unterzogen beziehungsweise sich politisch auflösen würde, versuchte
Kubin noch zu ignorieren:
„Denk Dir ich hörte aus ziemlich ernster Quelle daß Österreich an Italien das Trento ab-
geben wird nach dem Krieg gegen 1 Neutralität, 2 Desinteressement an Triest und Dalma-
tien – 3 kräftige Mitarbeit bei künftigem Neuaufbau. – Na mir ist’s wurscht.“42
zum Krieg gezeichnet, bin aber trotzdem mit einer Arbeit reproduziert und sehr ausführlich er-
wähnt in dem Werke d. Krieg und die Kunst (1916 München) von Dr. H. Hildebrandt.“ AK an
Fritz Herzmanovsky-Orlando, Zwickledt 10.6.1916, zit. nach Herzmanovsky-Orlando, Briefwech-
sel, 159.
39 AK an MB, Zwickledt 27.3.41, zit. nach Margret Bilger/Alfred Kubin, Briefwechsel. Hg. von Mel-
chior Frommel/Franz Xaver Hofer, Schärding 1997, 36.
40 Gemeint sind folgende Bände, die sich in der Kubin-Bibliothek (Inv.-Nr. 2413 und 2224) befinden:
Paul Rohrer, Als Venedig noch österreichisch war. Erinnerungen zweier Offiziere, Stuttgart 1913;
Hans Birch von Dahlerup, In österreichischen Diensten. 2 Bde., Berlin 1911–1912.
41 AK an Fritz Herzmanovsky-Orlando, Wernstein Zwickledt 11.10.1914, zit. nach Herzmanovsky-
Orlando, Briefwechsel, 82.
42 AK an Fritz Herzmanovsky-Orlando, Wernstein Zwickledt 11.10.1914, zit. nach Herzmanovsky-
Orlando, Briefwechsel, 83.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463