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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus348
der Ersatzeskadron seines Dragonerregiments Nr. 15 transferiert. Im September
1917 reiste er für medizinische Experimente zur Heilung seiner Beschwerden nach
Stockholm. Der Aufenthalt in Stockholm erfolgte – im Gegensatz zum Dresdener
Sanatoriumsaufenthalt, der „von oben“ nicht genehmigt war – auf Veranlassung des
k.
u.
k. Armeekommandos.124 Nach der Behandlungsphase in Stockholm kehrte Ko-
koschka Ende November 1917 wieder nach Dresden zurück. Er hatte Angst, wie-
derum eingezogen zu werden, dazu kam es aber nicht, seine krankheitsbedingte
Beurlaubung wurde bis Kriegsende mehrfach verlängert. Noch aus dem Sommer
1918 liegt ein Schreiben Teuschers vor, in dem er Kokoschka zahlreiche nervöse Be-
schwerden diagnostiziert. Die letzte in Kokoschkas „Hauptgrundblatt“ eingetragene
Beurlaubung datiert mit 1. Dezember 1918! 125
Eine nachhaltige Heilung seiner Symptome dürfte nicht eingetreten sein. Noch
zu Beginn der 1920er-Jahre finden sich in Kokoschkas Korrespondenz verschiedene
Hinweise, dass er weiterhin unter verschiedenen Symptomen litt und dafür neue,
alternative Therapieformen ausprobierte, wie beispielsweise die von Gustav Zander
entwickelte apparategestützte Methode. So schrieb er 1923 an seine Mutter:
„Seit heute gehe ich in ein Institut, wo man massiert wird und von allen möglichen elek-
trischen Apparaten bewegt wird. Ob es helfen wird meine allgemeine Schlappheit auszu-
treiben weiß ich nicht. Mit dem Cola muß ich jedenfalls aufhören.“126
Grundsätzlich wurden Patienten mit (Kriegs-)Neurasthenie kaum als geheilt aus
den Sanatorien entlassen, denn genauso unspezifisch wie Diagnose und Symptome
waren auch die Therapiemethoden. Dass Hydrotherapie, Kaltwasserbehandlun-
gen, Sonnenbäder und Schrotbrot tatsächlich Heilungserfolg brachten, konnte nie
124 Aus Dokumenten im Kriegsarchiv aus dem Jahr 1917 geht hervor, dass in Wien offenbar versucht
wurde zu klären „wer dem genannten Offizier […] die Bewilligung zum Aufenhalte in einem Sa-
natorium in Dresden erteilt hat“. In einem Schreiben des k. u. k. Armeeoberkommandos an das
KPQ vom 19.11.1917 heißt es, die „Urlaubserteilung“ für Dresden sei den bestehenden Erlässen
„zuwiderlaufend“ gewesen. Vgl. ÖStA, KA, KPQ, Karton 34, Fasz. Oskar Kokoschka.
125 ZBZ, NL Olda Kokoschka E 2004, Karton 05/11/IV/4, Mappe Ärzte 1915–16, Heinrich Teuscher
an die Korps-Untersuchungskommission XI Dresden, 19. Juni 1918; ÖStA, KA, Pers. GBBL,
Hauptgrundbuchblatt Oskar Kokoschka.
126 OK an Romana Kokoschka, [Dresden, Ende Mai 1923], zit. nach Kokoschka, Briefe II, 86. Die
„medico-mechanische“ Therapie wurde von Gustav Zander mithilfe dafür entwickelter Apparate
schon vor der Jahrhundertwende etabliert. In den USA und Europa entstanden zahlreiche „Zan-
der-Institute“, viele Sanatorien boten Therapien an „Zander-Geräten“ an.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463