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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus376
schieden.204 Anlässlich des 60. Geburtstags von Kubin im Jahr 1937 wurde er vom
österreichischen Staat tatsächlich mit verschiedenen Ehrungen versehen. Neben
der Verleihung des Professorentitels war es vor allem eine große Einzelschau in der
Wiener Albertina, die Kubins Anerkennung durch die ständestaatliche Kulturpoli-
tik betonte. Am 27. April eröffnete Bundesminister Hans Pernter in der Albertina
die Ausstellung, die in den österreichischen Medien äußerst positiv rezipiert wur-
de.205 Bei der Eröffnung war der sonst zurückgezogene Kubin persönlich anwesend.
Ebenso anwesend war der vom österreichischen „Ständestaat“ zum Bundeskommis-
sar für Kulturpropaganda ernannte Schriftsteller und Politiker Hans Hammerstein,
wie Kubin Mitglied der Innviertler Künstlergilde und mit diesem gut befreundet.206
Zum Zeitpunkt der Februaraufstände 1934, die in Linz ihren Ausgang nahmen, war
Hammerstein oberösterreichischer Sicherheitsdirektor und als solcher verantwort-
lich für die Entscheidung, mit Waffengewalt gegen die aufständischen Schutzbünd-
ler vorzugehen.207 Aloys Wach, der ebenfalls mit Hammerstein befreundet war, ging
in seinem Tagebuch dazu auf Distanz:
„14.
Februar [1934]. In Wien, Linz, Steyr, Steiermark Aufstand und Aufruhr, der am Mon-
tag begann und noch nicht beendet ist. Ich war immer der Meinung, die Revolte begänne
von Seiten der NSDAP, so aber griffen die Sozialdemokraten zur Gewalt und man muss
hoffen, dass um des Volkes willen des Brudermordes geschont wird. […] Die Regierung
in Wien verlautbart, dass die Soz. Demokraten beabsichtigen, mit Gewalt sich der Macht
im Staate zu bemächtigen. Aber es ist die Frage, ob man nicht andere Mittel und Wege
gefunden hätte, Konflikte zu bereinigen. Bruderblut ist immer ein Verhängnis. Jetzt soll
das Standgericht in Aktion treten und wie vor 300 Jahren endet der Aufruhr beim Freige-
richt. – Ein nie da gewesener Fasching voll Grauen und Schrecken. […] Am 27. Februar
204 Kubin-Archiv, Ernst August von Mandelsloh an AK, Gmunden 4.1.1936. Weiters vorgeschlagen für
den Staatspreis waren laut Mandelsloh Franz Wiegele, Ernst Huber und Franz Zülow.
205 Vgl. u.a. die Ausstellungsbesprechung von Arthur Rössler in Wiener Neueste Nachrichten, 28.4
1937 sowie Reichspost 27.4.1937.
206 Hans (von) Hammerstein-Equord (1881–1947), ab 1923 Bezirkshauptmann von Braunau, 1934
Bestellung zum Sicherheitsdirektor Oberösterreichs, 1936 Justizminister und ab November 1936
Bundeskommissar für Kulturpropaganda im Bundesministerium für Unterricht, 1938 aller politi-
scher Ämter enthoben, 1944 Inhaftierung im KZ Mauthausen, 1945 als Beamter reaktiviert. Ham-
merstein war Gründungsmitglied der Innviertler Künstlergilde und Verfasser mehrerer Bücher.
Vgl. Hans (von) Hammerstein, Im Anfang war der Mord. Erlebnisse als Bezirkshauptmann von
Braunau und Sicherheitsdirektor von Oberösterreich in den Jahren 1933 und 1934. Hg. von Harry
Slapnicka, Wien 1981.
207 Vgl. Hammerstein, Im Anfang war der Mord; Brigitte Kepplinger/Josef Weidenholzer (Hg.), Feb-
ruar 1934 in Oberösterreich. „Es wird nicht mehr verhandelt …“, Weitra 2009.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463