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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus378
Kokoschkas eigene Position zur Ausstellung in Wien war ambivalent: Genugtu-
ung über die Ehrung in seiner Heimatstadt stand neben der Sorge, politisch verein-
nahmt zu werden.210 1935 hatte er auf eine Anfrage von Clemens Holzmeister, als
Architekt eine zentrale Figur in der ständestaatlichen Kulturpolitik, in Bezug auf
eine Beteiligung an der Österreich-Präsentation bei der Weltausstellung in Brüssel
brüsk-ablehnend reagiert:
„Die Absicht als eine kulturelle Idee zu verstehen – daß man Kunst und Watschentanz und
Wiener Würstl unter einen Hut bringe – hatte mich schon damals so befremdet, daß ich
einer p.t. Jury den Rat gegeben hatte, sich im Auslande doch um Gotteswillen nur auf die-
jenigen Künstler zu beschränken, die in Österreich offiziell führend [sind], und die ihren
Mantel nach dem Winde hängen, der gerade weht.“211
Seinem Freund Albert Ehrenstein schrieb er kurz darauf: „Ausstellen tue ich nur
mehr in Addis Abeba und sonst nirgendswo.“212 Auch 1936 äußerte er sich gegen-
über seiner engen Vertrauten und Freundin Anna Kallin über die führenden Schich-
ten des österreichischen Ständestaats weiterhin negativ, die Diktion unterscheidet
sich nicht von den Äußerungen der Jahre zuvor. Kokoschka sah im „Ständestaat“
eine Symbiose von katholischen und adeligen Machtträgern, die mit Vertretern der
Rüstungsindustrie gemeinsame Sache machten:
„Ein Schmutzfleck in dem Bestattungsritual [Anm.: das Begräbnis des verstorbenen eng-
lischen Königs George V.] war und ein Zeichen der neuen Zeit, daß der Gigolo von Wien,
der für sein Kartenspielen das Unglück eines ganzen Volkes zahlen läßt, das zu gutmütig
war, um gegen seine bewaffneten Gangsterbanden richtig aufzumucken, daß der Starhem-
berg213 so nahe dem Katafalk als Vertreter Österreichs mitzumachen legitimiert wurde.
Dieser Bursche hat beim Münchner Bierkellerputsch gelernt, wie mans macht, dann hat er
die Wiener Sozialisten bedroht: die asiatischen Schädel müssen im Sande rollen; dann hat
ihm der Patronenlieferant Mandl und dessen Frau214 und der Finanzier Kohn aus Brünn
210 Vgl. zu den Hintergründen der Ausstellung v.a. Gloria Sultano, „Eine Art Schwanengesang“ – Die
Kokoschka-Ausstellung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie 1937, in: Sultano/
Werkner (Hg.), Oskar Kokoschka, 17–72.
211 OK an Clemens Holzmeister, Prag 3.3.35, zit. nach Kokoschka, Briefe III, 17.
212 OK an Albert Ehrenstein, [Prag] 10.[?]7.1935, zit. nach Kokoschka, Briefe III, 21.
213 Ernst Rüdiger Starhemberg (1899–1956), Heimwehrführer, 1934–1936 Bundesführer der Vater-
ländischen Front und Vizekanzler.
214 Fritz Mandl (1900–1977), österreichischer Industrieller, Generaldirektor der Hirtenberger Patro-
nenfabrik, als enger Vertrauter Starhembergs Mitfinanzierer der Heimwehrbewegung, seit 1933
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463