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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus384
schaft in der Reichskulturkammer Voraussetzung. Die Aufnahmekriterien verhin-
derten die Teilnahme von jüdischen KünstlerInnen. Österreichische KünstlerInnen
waren teils schon ab 1933 von der NS-Kunstpolitik betroffen, je nachdem wie stark
sie auch am deutschen Markt vertreten waren. Spätestens 1938 galten die rassisti-
schen und antimodernen Regularien auch für sie.
Zweifellos war der Umgang mit der Kunst ein wesentlicher, aber nicht der einzige
ausschlaggebende Faktor dafür, wie Künstlerinnen und Künstler die nationalsozia-
listische Herrschaft generell einordneten oder bewerteten. KünstlerInnen, die mög-
licherweise verschiedene ideologische Grundlagen des Nationalsozialismus teilten,
konnten sich von der Kunstpolitik im Konkreten aber durchaus abgestoßen fühlen.
Für manche war dies ein Grund, sich generell von der NS-Ideologie zu distanzieren,
andere versuchten auf die Linie der Kulturpolitik einzuwirken. Ernst August (von)
Mandelsloh beispielsweise, überzeugter Nationalsozialist und SS-Angehöriger, war
als Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste in Oberdonau in Kunst-
angelegenheiten vergleichsweise unangepasst. Er teilte manche Punkte der national-
sozialistischen Kunstauffassung nicht, beispielsweise die Ablehnung des Expressio-
nismus, und war der Meinung, über ausreichend Macht zu verfügen, seine Sicht der
Dinge an die NS-Eliten vermitteln zu können. In Briefen an Alfred Kubin äußerte
er seine Kritik, wonach NS-Kunstideologen wie der von ihm kritisierte Alfred Ro-
senberg eine „priesterliche Künstlerkaste“ unter Verzicht auf Originalität schaffen
wollen, Rosenbergs Buch „Der Mythus des XX. Jahrhunderts“227 habe er wegen der
dort vorgetragenen Kritik an Oskar Kokoschka nicht fertiggelesen.228 1937 wollte er
Joseph Goebbels bei einem Treffen in Berlin davon überzeugen, dass der als „entar-
tet“ verfemte Max Beckmann, gegen den „politisch“ ja nichts vorliege, wieder nach
Deutschland zurückkommen müsse.229
Derartige Beispiele zeigen, dass die Grenzziehung zwischen offiziell anerkannter
und verfemter Kunst nicht immer klar ersichtlich war. Einschätzungen konnten di-
vergieren und sogar innerhalb des Werks eines Künstlers oder einer Künstlerin un-
terschiedlich ausfallen, wie auch hier dargelegte Beispiele von Alfred Kubin, Aloys
Wach und Margret Bilger zeigen werden. Weniger ambivalent war es im Fall von Os-
kar Kokoschka, der schon in den 1920er-Jahren von kulturkonservativ-nationalen
Strömungen zum „kulturbolschewistischen“ Paradekünstler schlechthin stilisiert
227 Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestal-
tenkämpfe unserer Zeit, München 1930.
228 Kubin-Archiv, Ernst August (von) Mandelsloh an AK, Gmunden 20.7.1935.
229 Kubin-Archiv, Ernst August (von) Mandelsloh an AK, Gmunden 10.4.1937.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463