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Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus388 Nun fand dieser Briefwechsel noch vor der Machtergreifung statt, und Kubin sollte nicht Recht behalten, dass eine „solche Sinnlosigkeit“ sich früher oder später von selbst erledige. Vielmehr konnte er mit seinem jüdischen Brieffreund, wie auch mit anderen, bald nur mehr unter Schwierigkeiten korrespondieren, da diese Deutsch- land verlassen mussten. Trotz seiner Affinität zu rechtsesoterisch-rassistischen Mo- dellen scheint Kubin dem Antisemitismus der Nationalsozialisten eine emotionale Ablehnung entgegengebracht zu haben. So äußerte er kurz nach der Machtergrei- fung 1933 gegenüber seinem in der Schweiz lebenden Freund Hermann Hesse, des- sen Haus zur Anlaufstelle für zahlreiche deutsche Emigranten werden sollte, seinen „gefühlsmäßigen Widerstand“ gegen die nationalsozialistische Bewegung und ihre „unsittliche Verächtlichmachung der Juden.“236 Auch im darauf folgenden Brief an Hesse nahm Kubin Bezug auf den nationalsozialistischen Antisemitismus. Im Ge- gensatz zur ersten allgemeinen Kritik bezog er sich in diesem Schreiben unmittel- bar auf seine eigene biographische Betroffenheit. Kubins Frau Hedwig war nach der Diktion der Nationalsozialisten eine so genannte „Halbjüdin“:237 „Ich bin unglücklich aber immer wieder, wenn ich meine arme Frau leiden sehe an dem Konflikt, daß nun mal ihre Mutter eine, wenn auch getaufte Jüdin war, wenn auch eine der edelsten – Der Rückfall in so barbarisches Denken, wie wir das nun erleben müssen, verletzt ihr Gerechtigkeitsgefühl im tiefsten und wir damit Versippten leiden.“238 Noch mehrfach taucht in Kubins Korrespondenz der Verweis auf Hedwigs teiljü- dische Herkunft und die damit verbundene Situation auf. Kubin schien aufrecht darunter zu leiden, dass seine Frau zum Opfer der nationalsozialistischen Rassen- ideologie geworden war. Hedwig Kubin konnte die Zeit des Nationalsozialismus physisch unbeschadet überstehen und war keiner direkten Verfolgung ausgesetzt. Kubin selbst schrieb manche ihn betreffenden Entscheidungen, wie beispielsweise seinen Ausschluss aus der Reichskulturkammer im Jahr 1936, der offiziell aufgrund 236 AK an Hermann Hesse, Zwickledt Wernstein 25.4.1933, zit. nach Hermann Hesse/Alfred Kubin, „Außerhalb des Tages und des Schwindels“. Briefwechsel 1928–1952. Hg. von Volker Michels, Frankfurt am Main 2008, 49. 237 Hedwig Kubin, geb. Schmitz hatte mütterlicherseits jüdische Vorfahren. Ihr Bruder Oscar  A.  H. Schmitz sprach von einer „Rassemischung eines arischen Vaters mit einer zu drei Viertel semiti- schen Mutter“, die in ihm Konflikte auslöste. Vgl. Oscar A.  H. Schmitz, Das wilde Leben der Bo- heme. Tagebücher. Bd.1: 1896–1906. Hg. von Wolfgang Martynkewicz, Berlin 2006, 446. Schmitz übernahm damit die rassische Definition, wie sie sich auch in den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 findet. Dass die Mutter getauft war, spielte nach diesen Kriterien keine Rolle. Hedwig Kubin galt damit nach der Implementierung der Nürnberger Rassegesetze als „Mischling 1. Grades“. 238 AK an Hermann Hesse, Unken b. Salzburg 23.8.1933, zit. nach Hesse/ Kubin, Briefwechsel, 53. Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
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Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Title
Zeitwesen
Subtitle
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Author
Birgit Kirchmayr
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Size
17.3 x 24.5 cm
Pages
468
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
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