Page - 396 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Image of the Page - 396 -
Text of the Page - 396 -
| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus396
einem gewissen Rahmen auch hochgeschätzt weiter tätig sein. An Bedeutung ge-
wannen regionale Ausstellungen, an denen er teilnahm. 1940 war er bei der alljähr-
lichen Ausstellung des „Künstlerbundes Oberdonau“ vertreten, die immerhin unter
Ehrenschutz des Gauleiters stand. 1944 widmete ihm die Innviertler Galerie in Ried
eine große Sonderschau. Die finanziellen Einbußen, die Kubin seiner Aussage nach
während der NS-Zeit habe hinnehmen müssen,262 müssen somit weniger als Folge
einer kulturpolitischen Nicht-Akzeptanz, sondern vielmehr als Begleiterscheinung
der veränderten Rahmenbedingungen des Kulturbetriebs innerhalb der Kriegswirt-
schaft eingestuft werden.
In seiner Autobiographie nimmt die Zeit des Nationalsozialismus nur wenig
Raum ein. Dies fügt sich allerdings in eine allgemeine Tendenz, dass seine auto-
biographischen Texte im Laufe der Zeit generell weniger umfangreich wurden. Die
Passage über die NS-Zeit verfasste er 1946, als geplant war, eine Neuauflage der „An-
deren Seite“ mit einer erweiterten Autobiographie zu publizieren. Im Wesentlichen
findet sich zur NS-Zeit darin nur folgender Absatz – kurz, wenig über sein persönli-
ches Schicksal Auskunft gebend, aber doch klar im Urteil:
„Über das braune Regiment und seinen Krieg kann ich hier nur wenige Bemerkungen ma-
chen, obgleich es das furchtbarste Schicksal war, das uns alle betroffen hat. Denke ich an
mich und meine Kollegen, gepflegte Künstlermenschen, so scheint mir erst recht wider-
wärtig, was da heraufkam. Ein Urteil über die Kunstkammer des Dritten Reichs erspare
ich mir lieber – jetzt Eselstritte auszuteilen, wäre leicht. […] Oh, diese Toren, politischen
Revolutionäre, seelisch unheilvoll Angesteckte, oder wie immer man sie nennen mag, wel-
che uns den Krieg nach innen und außen brachten! Nun gilt es, Aussichten ins Künftige zu
finden, die höllische Fratze haben wir überstanden, finden wir uns also nach Möglichkeit
zurecht in ihrem schauerlichen Nachlaß.“263
In Bezug auf Kubins politisches Selbstverständnis erwies sich sein Umgang mit dem
Nationalsozialismus als Herausforderung. Vieles von seinem „unpolitischen“ Ver-
halten darf als hochgradig politisch eingestuft werden, wenn vielleicht auch nicht
in seiner eigenen Wahrnehmung. Als roter Faden zeigt sich, dass die Aufrechter-
haltung seiner Existenzbedingungen als Künstler unbedingt vorrangig war. Es kann
davon ausgegangen werden, dass Hedwig Kubin als Managerin ihres Mannes dabei
behilflich war, trotz ihrer zweifellos noch stärkeren Ablehnung des Regimes. Wie
schon das Beispiel der Mitgliedschaft in der „Vaterländischen Front“ des österreichi-
262 Vgl. Mitterbauer, Unruhe um einen Abseitigen.
263 Kubin, Aus meinem Leben, 77.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463