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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus402
bis Ende Juli 1937 für Kokoschka in Wien Zeit zu gewinnen, nachdem in München
bereits die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet worden war.276
Zeitgleich zu Kokoschkas Bemühungen, einen Teil seines Werkes in Sicherheit
zu bringen, kam es in Deutschland tatsächlich bereits zum Zugriff auf seine Werke.
Für Kokoschka war es unmöglich zu erfahren, wie viele Bilder insgesamt betroffen
waren. Edith Hoffmann schrieb in ihrer 1943 verfassten Kokoschka-Monographie
von acht Werken, die in der Ausstellung „Entartete Kunst“ vertreten waren. Nach
Forschungsstand von Gloria Sultano aus dem Jahr 2003 konnten neun Gemälde,
ein Aquarell, ein Plakat und fünf graphische Blätter identifiziert werden, die in der
Ausstellung gezeigt worden waren.277 Beschlagnahmt wurden aber wesentlich mehr
Werke Kokoschkas.278 Dank der verstärkten Forschungsbemühungen zur Geschichte
der „entarteten Kunst“ kann mittlerweile auf eine online zugängliche Datenbank
zugegriffen werden, die auf Basis der nationalsozialistischen Beschlagnahmeproto-
kolle umfassendes Datenmaterial anbietet. Nach dieser Datenbank sind gegenwärtig
630 Werke (davon 34 Gemälde) Kokoschkas bekannt, die von der Beschlagnahme-
aktion betroffen waren.279
Kokoschka konnte dem lediglich seine Form von subtilem Widerstand entgegen-
setzen. Sein Selbsporträt von 1937 gehört dazu. Seine Biographin Edith Hoffmann be-
zeichnete es als „his reply to the condemnation his works had suffered in Germany“.280
Vom Künstler schien es aber kaum eine Erklärung hinsichtlich des so offensichtlichen
politischen Hintergrunds gegeben zu haben. Die ausführlichen Erläuterungen zum
Bild, die Hoffmann von Kokoschka erhielt und in ihrem Buch zitiert, sind ausschließ-
276 Zu Biographie und Schicksal von Richard Ernst während der NS-Ära vgl. Sultano, „Eine Art
Schwanengesang“, 58 ff; Rainald Franz/Leonhard Weidinger, Die Direktion Richard Ernst. Vom
Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zum Österreichischen Museum für angewandte
Kunst, in: Gabriele Anderl u.a. (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommis-
sion für Provenienzforschung, Wien 2009, 412–430.
277 Sultano, OK und die Ausstellung „Entartete Kunst“, in: Sultano/ Werkner (Hg.), Oskar Kokoschka,
99f.
278 Nach längerer Unklarheit über die Zuständigkeit und das weiteren Vorgehen mit der beschlagnahm-
ten „entarteten“ Kunst wurden die betroffenen Objekte 1938 in sechs unterschiedliche „Verwertungs-
gruppen“ eingeteilt. Etwa 5000 Kunstwerke wurden als „international verwertbar“ eingestuft und
gegen Devisen über den Schweizer Kunsthandel verkauft, darunter auch Werke Kokoschkas. Vgl.
Meike Hoffmann, Verboten und verborgen. Lagerorte „Entarteter Kunst“, in: Sabine Loitfellner/Pia
Schölnberger (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen-Hintergründe-Auswir-
kungen Wien 2016, 401–420; Sultano, OK und die Ausstellung „Entartete Kunst“, 110 ff.
279 Vgl. Datenbank „Entartete Kunst“ der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Univer-
sität Berlin, abrufbar unter http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/db_entart_kunst/datenbank/
(2.9.2019).
280 Hoffmann, Kokoschka, 214.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463