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4.4 Nationalsozialismus | 405
Stadtgemeinde Braunau dagegen, dass die von der Großdeutschen Partei beantragte
Ehrenbürgerschaft für Adolf Hitler durch die Gemeinde abgelehnt worden sei:
„Mit Beschämung ob der außerordentlichen Unvernunft, die gewaltet hat bei der Abstim-
mung der Frage, ob man dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler das Ehrenbürgerrecht zu-
erkennen solle oder nicht, nimmt man das Resultat dieser Abstimmung zur Kenntnis. Ich
bitte Sie, Herr Bürgermeister, meinen Protest zu dieser Entschließung der Stadtgemeinde
entgegenzunehmen! Hier, in dieser Stadt, ist der Mann geboren, der als Einziger wirklich
gewagt hat, dem Kommunismus den Kampf anzusagen. Der diesen Kampf auch wirklich
durchgeführt hat ohne Kompromiß. Dieser bewundernswerte Mann ist, ganz auf sich al-
lein gestellt, auf sein Genie und seinen Charakter, der Mann geworden, der er ist: Adolf
Hitler; der einzig große Mann, der in dieser Stadt das Licht der Welt erblickte. Der einzige
in dieser Stadt Geborenen, auf den diese Stadt stolz sein könnte – denn sonst ist niemand
da, dessentwegen es sich gelohnt hätte, daß diese Stadt überhaupt existiert im Raume der
Geschichte und der Zeit!“287
Wach kündigte in dem betreffenden Brief an, dass er es unter diesen Umständen
vorziehe seinen Wohnsitz aus Braunau zu verlegen. Dies tat er zwar nicht, die Ve-
hemenz, mit der er sein Anliegen vorbrachte, lässt aber darauf schließen, dass ihm
die Angelegenheit wichtig war. Hinsichtlich seiner politischen Vergangenheit in der
Münchner Räterepublik erscheint besonders interessant, dass er in diesem Brief vor
allem Hitlers „Kampf“ gegen den Kommunismus hervorhob.
Wie bereits angemerkt, waren Wachs politische Überzeugungen mit seinen esote-
risch-spirituellen Glaubenssätzen verbunden. Wach scheint, so lassen es zahlreiche
seiner Aussagen und Texte vermuten, im Führer der NSDAP eine Art von Schick-
salsgestalt gesehen zu haben, wie er sie auch in Jesus Christus oder dem in Braunau
verehrten Johann Philipp Palm, der in der napoleonischen Belagerungszeit hinge-
richtet worden war, wahrnahm.288 Auch die Zahlenmystik, mit der Wach sich be-
schäftigte, wurde zur politischen Deutung herangezogen. In den Tagebucheinträgen
von 1934 findet sich die bereits oben zitierte Stelle, in der er mittels der Zahl 22 eine
287 Stadtarchiv Braunau, Mappe „Heimatrecht, Bürger- und Ehrenbürgerernennungen“, AW an die
Stadtgemeinde Braunau, 19.4.1933. Faksimile abrufbar unter http://braunau-history.at/w/index.
php?title= Datei:Wach.png (2.9.2019). Dank an Florian Kotanko und Manfred Rachbauer für dies-
bezügliche Hinweise.
288 Vgl. Bezirksmuseum Herzogsburg Braunau, Aloys Wach, Botschaft von Philipp Palm? Ein sonder-
barer Bericht, o.
D. (unveröff. Manuskript). Mit der Rezeption Johann Philipp Palms, der 1806 auf-
grund eines antinapoleonischen deutschen Bekenntnistexts 1806 in Braunau hingerichtet wurde,
beschäftigten sich die 15. Braunauer Zeitgeschichtetage unter dem Titel „Unfreiwilliger Held“.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463