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Revolte und Reife 016
frisch gebackene Weidmann so betrunken, dass an den Nachhauseweg nicht mehr zu
denken war, weshalb ihn seine Jagdkameraden kurzerhand samt seinen Jagdtrophäen
in ein Gästebett des Gasthauses legten.
Für die Eltern war diese Episode ein weiterer schockierender Beweis von Rolfs Undis-
zipliniertheit und ungezügeltem Benehmen. Vergeblich versuchten sie immer wieder, auf
das Verhalten des Sohnes einzuwirken, bis ihnen ein Zufall zu Hilfe kam. In der Schule –
Rolf besuchte bereits das Gymnasium – war ein junger Priester als Kaplan tätig, und
dieser schien endlich den richtigen Zugang zu dem schwierigen Charakter zu finden. Tat-
sächlich kamen bei Rolf zusehends Eigenschaften zum Vorschein, namentlich sein Pflicht-
bewusstsein und eine außergewöhnliche Zielstrebigkeit, die schließlich für sein gesamtes
Leben bestimmend werden sollten. Unter dem Einfluss des Kaplans wurde Rolf jedenfalls
bald ernsthafter, verantwortungsbewusster und disziplinierter und arbeitete auch in der
Schule gewissenhafter, sodass sich binnen Kurzem seine Noten verbesserten. (Abb. 3)
Unerwartet früh musste Rolf seinen »Charakterwandel« durch die Bereitschaft unter
Beweis stellen, auch im familiären Zusammenhang Verantwortung zu übernehmen.
Als er gerade 17 Jahre alt war, erlitt sein Vater einen Nervenzusammenbruch, und er
war nicht mehr fähig, die täglichen Anforderungen zu bewältigen, und reagierte da-
rüber hinaus Fremden gegenüber mit aggressivem Verhalten. Die psychische Beein-
trächtigung war irreversibel und bedingte, dass eine Pflege im Kreise seiner Familie
nicht möglich war, weshalb die Überstellung in eine Pflegestation notwendig wurde.
Die Wahl fiel auf das Psychiatrische Krankenhaus in Ybbs a. d. Donau, und es stellte
sich die Frage, wer Rudolf Geyling zur Aufnahme in die Klinik begleiten sollte. Die Mut-
ter sowie die zwei älteren Geschwister Rolfs sahen sich außerstande, diese Aufgabe
3 Rolf, Greta
und Remigius im
Mittelschulalter
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273