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Der Weg an die Ostfront 045
hier mit meiner Frau; und so komme ich nur um sie in Sorge zu bringen und Abschied
zu nehmen. Bald bin ich den bekannten Weg hinauf zu dem Haus wo meine Frau mit
ihren beiden Schwägerinnen und den 6 Mädchen wohnt. Die Kinder rufen mir entge-
gen, meine Frau ist in ihrem rückwärts gelegenen Zimmer, sie weiß noch nichts. Ich trete
ein und ihr entgegen, natürlich erschrickt sie, wie ich fürchtete, aber fasst sich rasch und
wie ich kenne mit großer Anstrengung. 2 Stunden können wir beisammen bleiben, um 2
Uhr geht meine Zug weiter, aber meine Frau mit Berta und Olga fahren mit mir bis Pre-
deal an die Grenze; leider sind wir bald auch dort und die Grenzangelegenheiten, die
mir sonst endlos schienen gehen mir diesmal zu rasch. Ich bewundere die Kraft meiner
armen Frau, mit der sie sich tapfer und fast fröhlich verhält, während ich ihre Stimmung
sehr gut kenne. Dann ist es Zeit, noch ein rascher Kuss und ehe es Zeit ist zur Rührung
bin ich im Wagon und in wenigen Minuten verschwindet auch das winkende Taschen-
tuch. Nun bleibt nur mehr die schöne Erinnerung, nun gilt es alle Kräfte einer anderen
Sache, meiner Pflicht zu widmen. Nach endlosen Personenzugsfahrten am 31. Juli 1914
gegen Abend in Budapest, eben wird hier die allgemeine Mobilmachung verkündet, also
war meine Abreise verfrüht, aber ich war froh über diesen Irrtum.
1. August 1914 früh in Wien, hier suche ich bei meiner Mutter alle Militärsachen, Uni-
form, Sattelzeug etc. zusammen und packe hier endgültig für den Krieg. Abend geht
der Zug erst ab gegen Innsbruck. Mein Bruder, der ebenfalls nach Südtirol ( Trient ) ein-
rückt, fährt mit mir.
Um 7 Uhr sind wir am Westbahnhof; Vorplatz, Hallen, Perrons alles nur ein dichtes
Menschenmeer, Zug um Zug verlässt die Halle und kaum lichtet sich das Gedränge, end-
lich gegen 12 Uhr Nachts, der letzte Zug, und hier finden wir gut Platz. Am 2. August
lange ich in Neumarkt an, mein Bruder fährt weiter nach Trient. Bahnhof Neumarkt, wo
schon viele Reserveoffiziere anwesend sind, bleibe ich über Nacht; früh morgens, 3. Au-
gust, gehe ich nach Vill und melde mein Einrücken. Werde zum Munitionspark zugeteilt
und gehe nachmittags gleich nach Auer, wo das M. P. Kommando und die Munitions-
kolonnen 1 und 2 aufgestellt werden sollen, während die Munitionskolonnen 3 und 4 in
Montan stehen werden. Im Gasthof zum Elefanten beziehe ich für diese Tage ein Zimmer.
Rolf war an diversen Vorbereitungen – wie etwa der Organisation des nötigen Materials
und dem Training der Pferde als Zugtiere – beteiligt, und bereits in diesen ersten Tagen
der Mobilisierung offenbart sich die ebenso konsequente wie pragmatische Herange-
hensweise Rolfs an sämtliche Anforderungen des Militärdienstes. Ein anschaulicher Be-
leg für Rolfs Leistungswillen ergibt sich aus der Schilderung im Feldtagebuch, in welcher
er von seinen Fahrübungen mit wenig erprobten Pferden spricht:
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273