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Die Jahre in Sibirien 103
ner Redaktion und unterziehen sich der Mühe russ. Blätter, die auf alle erdenklichen Ar-
ten verschafft werden zu übersetzen, und abendlich wird dann das Ergebnis allen Her-
ren zur größten Freude verlesen; so erfahren wir von den glänzenden Errungenschaften
unserer Kameraden und das hält uns in der trostlosen Zeit aufrecht !
Aber auch diese vielfältigen Beschäftigungen konnten letztlich nicht über die Eintö-
nigkeit des Lagerlebens hinweghelfen. Die täglichen Spaziergänge wurden daher zur
ersehnten Abwechslung aller, doch wurden die Ausgänge gerade deswegen von der
Wachmannschaft immer wieder und unter verschiedensten Begründungen verboten.
Manchmal versuchten die »Starschi«, so wurde der Älteste der Wachmannschaft be-
zeichnet, der in allen Lagern eine wichtige Rolle spielte, einfach Trinkgeld zu erpressen.
Sehr oft entsprang die Willkür jedoch schlichtweg der Trunkenheit der Wache. Wahr-
scheinlich aufgrund der Siege der deutschen Armee bereits im ersten Kriegsjahr in der
Schlacht bei Tannenberg im August 1914 und der Schlacht an den Masurischen Seen
im September 1914 wurde gegen deutsche Offiziere zusätzlich mit besonderen Sankti-
onen vorgegangen.
1., 2. Aug. Jeden 20. alten Stiles [
Julianischer Kalender ] wird Gage ausgezahlt. Ich be-
komme 50 Rubel für Monat Juli und 11 Rubel 7 Kopeken für die Zeit im Monat Juni, wel-
che ich im Gouvernement Kasan war. Den deutschen Offizieren wird verlautbart, dass
sie als Repressalien nur mehr 28 Rubel, dieses Monat sogar nur 18 Rubel bekommen.
Wir sammeln sofort, und mit Ausnahme 2 Offizieren im slawischen Quartier beteiligen
sich alle Herren gerne, und geben den 6 deutschen Offizieren soviel, dass sie genau so
viel wie wir haben !
Neben der quälenden Eintönigkeit stellte auch der Zwang, auf sehr dichtem Raum zu-
sammenzuleben, eine große Belastung für die Gefangenen dar, und der Verlust jeglicher
Privatsphäre war häufige Ursache für Auseinandersetzungen und kleinliche Streitereien.
Auch Rolf litt unter der erzwungenen Gemeinschaft, und wo es ihm möglich war, zog er
sich zurück und versuchte, ein Zimmer für sich alleine oder höchstens mit einem weite-
ren Offizier beziehen zu können.
Neben all der psychischen Belastung bedeutete auch die Ungezieferplage einen er-
schwerenden Umstand im Lagerleben. Vor allem Läuse und Wanzen bereiteten den La-
gerinsassen Qualen, wobei die Offiziere wiederum weniger in Mitleidenschaft gezogen
waren als die Mannschaft, da sie nicht in den berüchtigten Massenquartieren hausen
mussten. Im Verein mit zumeist katastrophalen hygienischen Verhältnissen führte die
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273