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Kriegsgefangenschaft 132
des Roten Kreuzes ab 1915 der Zutritt zu sämtlichen Lagern in Russland und Sibirien
gewährt werden musste. Die Delegationen wurden vor allem vom Schwedischen Ro-
ten Kreuz entsandt, das zumeist in Begleitung deutscher und österreichisch-ungarischer
Schwestern sowie unter Aufsicht eines oder mehrerer russischer Offiziere die Gefange-
nenlager besuchte. Im Zuge dieser Besuche war es den Insassen erlaubt, ohne Beauf-
sichtigung mit den Delegationsmitgliedern zu sprechen. Fallweise war es möglich, schon
vor Ort Missstände zu beseitigen, gravierende Übelstände wurden hingegen nach Pe-
tersburg gemeldet. Die »Schwesternreisen« wurden natürlich auch in den Lagern der
Mittelmächte durchgeführt und trugen somit wesentlich zu einer ausgewogeneren Be-
richterstattung bei. Die – vor allem durch die Presse verbreitete – Meinung etwa, dass
die russischen Kriegsgefangenen sehr schlecht behandelt wurden und zu Tausenden
durch Hunger und Epidemien starben, während die Gefangenen in den russischen La-
gern unter weitaus besseren Bedingungen lebten, konnte erst im Laufe des Jahres 1916
durch die Besuche der Delegierten revidiert werden.
Die Delegationen des Schwedischen Roten Kreuzes wurden auch mit der Vertei-
lung von »Liebesgaben« und später mit dem Invalidenaustausch betraut. Diese »Lie-
besgaben« waren insbesondere für die Mannschaften von unschätzbarem Wert und
retteten unzähligen einfachen Soldaten das Leben, da es ihnen oft an den grundle-
gendsten Versorgungsgütern mangelte. So wurden laut Brändström in den Lagern
in Russland und Sibirien in den Jahren 1915–1918 insgesamt 1. 016 Eisenbahnwaggons
mit Kleidung, Schuhen, Decken, Medikamenten, medizinischen Instrumenten, Lebens-
mitteln etc. verteilt.
Dabei darf auch die psychologische Komponente nicht außer Acht gelassen wer-
den: Die Gefangenen, die zum Teil Jahre unter erbärmlichsten Zuständen in den Lagern
dahinvegetierten und die von ihren Angehörigen nur selten oder gar keine Briefe und
Paketsendungen bekamen, erhielten auf diese Weise eine deutliche moralische Unter-
stützung und sahen in den »Liebesgaben« den Beweis, dass sie von der Heimat nicht
vergessen wurden. Auch Rolf betont, wie positiv er die Anwesenheit der Delegierten des
Roten Kreuzes erlebte. Allerdings wird anhand von Rolfs Aufzeichnungen ebenso deut-
lich, wie wenig nachhaltig die Besuche des Roten Kreuzes fallweise wirkten. Nach erfolg-
ter Abreise der Delegationen gingen die russischen Wachmannschaften häufig gerade-
zu repressiv vor, um die eingeräumten Vergünstigungen wieder einzuschränken oder
gar rückgängig zu machen, wie der Eintrag vom 25. 6. 1916 belegt.
28. Feb. Brand in unserem Haus. Durch schlechte Ausführung müssen Deckenbalken in
die Schornsteine des Saales gegangen sein. Einige Tage schon war brandiger Geruch
verspürt, früh morgens brennt es im Saal heraus und bald durchs Dach. Große Aufre-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273